venedig
vier tage in venedig, wo die verfallene schönheit der alten architektur der kolonialmacht und anderer epochen auf eine vielfalt an moderner kunst wie kaum an einem anderen ort trifft. ich durchkreuze die stadt zu fuß und mit den vaporettos, den wasserbussen der stadt, besuche die skulptur „Der böse Blick“ meines freunds tobi aus berlin und über zwei tage die biennale arte.
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ich bekomme am sonntag meinen geplanten zug von norden nach düsseldorf trotz der denkbar knappen umsteigezeit von drei minuten nach ankunft des busses aus bensersiel und nach eine kurzen nacht zuhause fliege ich montag weiter nach venedig. vor der landung geniesse ich schon einen tollen blick von oben auf die stadt in der lagune. vom flughafen geht es dann direkt mit dem boot, zuerst mit alilaguna und dann mit den stätischen vaporetto, dem wasserbus 4.1 weiter zur insel giudecca wo ich im sunny terrace hostel ein zimmer habe.
giudecca ist etwas ab von den großen tourist*innenströmen, es gibt nur ein paar hotels und restaurants, einige künstlerische hochschulen am campus junghans und ansonsten wohnhäuser und drei kirchen nach denen die jeweilgen vaporetto stationen benannt sind. das sunny terrace hostel ist ein studierendenwohnheim am campus junghans, das im sommer als hostel die zimmer günstig vermietet. von der sonnigen dachterasse hat man einen tollen blick auf dorsuduro und san marco auf der anderen seite des canale della giudecca, durch den auch die riesigen kreuzfahrtschiffe an der stadt vorbei zur stazione maritima merci fahren.
über den canale della giudecca fahre ich dann am dienstag mit dem vaporetto 4.1 weiter vorbei an dorsuduro und san marco zur station arsenale und laufe weiter zum giardino della marinaressa
in dem kleinen park ist der biennale pavillion der seychellen. einige neuere länderpavillions passten wohl nicht mehr auf die biennale gelände giardini und arsenale und so finden sich über die stadt verteilt einige pavillions und einige zusätzliche ausstellungen der biennale.
im pavillion der seychellen gibt es puppen von carole a. feuermann wie z.b. „Bibi on the Ball“, schildkröten des projekts „Slowly, quietly“ wie „The Quick Cycle“ von allen ernesta, dem „King Kong Rhino“ von Shih Li-Jen und einer skulptur mit rettungswesten von paul handley steht im giardino della marinaressa auch tobi’s skulptur „Der böse Blick“.
tobi thematisiert mit der arbeit auch aus seiner eigenen erfahrung als transgender das verhältnis der betrachtung von trans*, der abgrenzung und der distanz die der böse blick von aussen erzeugt. zwei trans* figuren stehen hinter der stop signalisierenden hand mit eingebauten türspion, durch den sie verzerrt betrachtet werden können.
ich bin etwas spät am mittag im park und die bäume lassen nur noch einzelne sonnenstrahlen auf die skultur. am freitag werde ich nochmal früher herkommen und bilder mit mehr sonne machen.
alle bilder von tobi’S skulptur „Der böse Blick“ bei flickr >>
danach laufe ich weiter richtung giradini und mache kurz halt am palazzina canonica in dem eine kleine ausstellung des projekts „Leviathan“ von shezad dawood mit videos und anderen objekten die die zusammenhänge von naturschutz der meere, migration und psychischer gesundheit thematisieren.
heute will ich noch nicht zentralen gelände der biennale besuchen und so nehme ich an der station giardini wieder ein vaporetto der linie 4.1 und fahre rund um die stadt bis zur station celestia und von dort weiter mit der 5.2 bis zur station guglie.
die station ist nahe am stadtteil ghetto. es ist auch der ort des ersten und der weiteren venizianischen juden-ghettos, aber nicht der stadtteil wurde danach benannt, wie ich vor zwei jahren hier vermutete, sondern der begriff ghetto ist erst entstanden, weil hier 1516 der venezianische senat verfügte, dass juden ab dem 16. märz ausschließlich in einem bestimmten bezirk leben sollten, abgesondert von der restlichen bevölkerung und kontrolliert von christlischen wächtern. der ort war von kanälen umgeben und weil sich dort eine gießerei befand, die im venezianischen getto hieß, wurde er ghetto nuovo genannt.
zunächst verlaufe ich mich ein wenig und irre über gassen die plötzlich an einem kanal enden und einen größeren umweg durch den stadtteil, gelange aber am ende zum campo ghetto nuovo. auf dem platz besuche ich dann das jüdische museum und das holocaust mahnmal „Der letzte Zug“.
danach verlasse ich das historisch ghetto durch den originalen eingang der eigentlich direkt an der vaporetto station guglie war, den ich aber übersehen hatte, da er in das mauerwerk eines hauses integriert war.
ich laufe zum canale gande und fahre wenige stationen mit der vaporetto linie 1 vom campo s. marcuola zur ca‘ d’oro und laufe weiter durch die gassen cannaregios, streife etwas die stadtteile san marco an der rialto brücke und castello und laufe schließlich auf die andere seite der insel zur vaporetto station fondamente nuove.
von der vaporetto station gegenüber der friedhofsinsel san michele fahre ich dann wieder zwei stationen weiter zur station madonna del orto von wo aus ich in der abendsonne zu einem laden am rio di san girolamo laufe, wo man sich kleine tapas und wein holen und auf kleinen schiffen die am kanal liegen essen kann.
am mittwoch ist der himmel bedeckt. eigentlich wollte ich meine tour durch die stadt fortsetzen und an den letztem beiden tagen die biennale besuchen. aber bei bewöktem himmel ist venedig nur halb so schön, also entsch. eide ich spontan, heute schon das arsenale zu besuchen, den größeren teil der von christine magel kuratierten zentralen internationalen ausstellung, die in mehreren kapiteln eine diskursive und manchmal paradoxe geschichte erzählen soll, die die komplexität der welt, die vielfältigen herausforderungen und die weit variierenden handlungsweisen spiegeln soll (christine magel, broschüre der biennale arte 2017 „viva arte viva“).
doch bevor ich im arsenale starte, mache ich noch einem kurzen stop im pavillion von honkong mit dem „Songs for Disaster Relief, Honkong in Venice“, von samson young, der ebenfalls ausgelagert vor dem eingang zum arsenale liegt.
eine der ersten arbeiten im arsenale die mein interesse weckt ist „The Mending Project“ von lee mingwel. viele fäden ziehen sich von den wänden zu einem tisch an dem die künstlerin oder ein*e assistent*in sitzt. besucher*innen können kaputte klamotten dort abgeben, die dann geflickt und danach teil der ausstellung werden.
ein ähnliches konzept verfolgt „A Stitch In Time“ von david medalla. ein projekt, das er bereits über viele ausstellungen seit 1968 verfolgte und bei dem die besucher*innen ebenfalls eingeladen sind, mitzuwirken indem sie dinge einbauen. ich hinterlasse meine eintrittskarte zum jüdischen museum und schreibe noch „no ghetto anymore“ darauf.
etwa in der mitte des langen arsenales im „Pavilion of Shamans“ kann ich dann im werk „A Sacred Place“ von ernesto neto etwas ausruhen.
nach der von christine magel kuratierten zentralen internationalen ausstellung im arsenale folgen noch einige spezielle projekte und länder pavillions auf dem gelände. das erste projekt auf das ist stoße ist „The Absence of Paths“. an einer kontrollstelle lasse ich mir einen pass von freesa mit fingerabdruck ausstellen. freesa soll einen ort symbolisieren, an dem menschen sich überall von einem land zum nächsten frei bewegen können.
direkt gegenüber liegt der pavillion der philippien mit aussagekräftigen politischen bildern von manuel ocampo („Torta Imperiales“, „Cooks in the Kitchen“, „Twelfth Station“) und einer neoninstallation von lani maestro („No Pain Like This Body“).
ebenfalls im arsenal ist der italienische pavillion mit der installation „Imitazione di Christo“ von roberto cuoghi der die alten gemäuer des pavillions in eine „Fabrik zur Konservierung von devotionalen Figuren, inspiriert von einer „Imitiation of Christ“.
am ende verlasse ich das arsenal mit einer fähre auf die nordseite des hafenbeckens, wo ich noch den ausgelagerten pavillion des libanon besuche. ich komme da in einen dunklen großen raum und versuche mich ohne etwas zu sehen zu orientieren. ich höre geräusche, stimmen, musik aus verschiedenen richtungen. später gibt es etwas licht und am ende wird in der mitte das raums eine art rakete angestrahlt.
es ist eine rolls royce mk 209 bomberdüse wie ich danach in der beschreibung von „ŠAMAŠ SOLEIL NOIR SOLEIL“ von zad moultaka lese. ein monument für ŠamaŠ, den babylonischen gott der sonne und gerechtigkeit mit einer 4000 jahre alten schwarzen stele die als erstes gesetz gilt. die bomberdüse soll dazu das gesetz symbolisieren, das heute im mittleren osten gilt.
von hier aus laufe ich zur vaporetto station bacini und nehme ein vaporetto richtung lido. bevor die sonne untergeht laufe ich noch einmal zum strand von venedig, bevor ich zurück zur hauptinsel nach cannaregio fahre wo ich am campo s. margherita orientalisch esse.
am donnerstag dann setze ich meine tour durch die stadt fort und fahre zunächst zur kleinen nachbarinsel von giudecca, s. giorgio maggiore. diese kleine insel mit ihrer kirche und einem schönen turm von dem aus man einen schönen ausblick auf venedig von oben hat, dem schönsten yachthafen der stadt und ausstellungsräumen hat mir schon bei meinem ersten besuch 2002 und auch vor zwei jahren wieder sehr gut gefallen.
auch hier gibt es eine ausstellung der biennale „One and One makes Three“ mit werken von michelangelo pistoletto, in denen spiegel eine große rolle spielen. in einem raum mit symetrisch gebrochenen spiegeln sollen die brüche ein äquivalent zum teilen des bildes des universums in viele teile sein, die jede einzelne person repräsentieren können. in der tat beeindruckt mich die arbeit in der ich selbst als spiegelbild teil der präsentation werden schon bevor ich die erläuternden texte lese.
danach nehme ich von der insel ein vaporetto der linie 2 die zuerst durch den canale della giudecca bis zur parkplatzinsel tronchetto und dann durch den canale grande und weiter bis zum lido führt. eine große bootsrundfahrt durch venedig also, inclusive in meinem sieben-tage-ticket das immerhin 60 euro kostet.
von da aus fahre ich gleich wieder eine station zurück zur kleinen insel s. elena östlich der giardini und laufe noch etwas durch den kleinen stadtteil und park, in den sich nur wenige menschen sonst verirren bis zu den giardini zurück.
eine weitere vaporettofahrt bringt mich dann zur station zattere in dorsoduro von wo aus ich am canale della giudecca entlang bis zur punta della dogana, der gabelung an der sich der canale di san marco teilt in den canale grand und den canale della giudecca. auch hier wieder einige ausstellungen im kontext der biennale und unabhängig davon. am punta della dogana ist einer der orte der ausstellung „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“ von damien hirst, der eine expedition zum heben von schätzen aus dem meer inszeniert hat und diese „schätze“ jetzt in venedig ausstellt.
von hier aus fahre ich kurz über den canale grande in den stadtteil san marco, laufe einmal über die piazza san marco und etwas dann durch den stadtteil, nochmal mit dem vaporetto unter der rialto brücke her und auf die andere seite des canale grande und schließlich wieder zum campo s. margherita, wo ich nochmal den abend verbringe.
am freitag geht es dann wieder zur biennale, diesmal zum giardine. nachdem ich nochmal sonnige fotos von tobis skulptur „Der böse Blick“ gemacht hab, starte ich im giardini gleich mit einem der für mich beeindruckensten pavillions von russland, den eine für mich schon dystopische atmosphere der mehrere räume umfassenden installation „Szene Change“ von grisha bruskin beherrscht. darunter gibt es dann „Blocked Content“ von der recycle group, weisse körper und notizen warum sie blockiert sind, die mittels einer virtual reality app die man auf sein handy oder tablet laden kann dreidimensional hervortreten.
„Faust“ von Anne Imhof hat in diesem jahr den silbernen löwen gewonnen. der pavillion wird aussen von hunden bewacht, ist entkernt und mit stahl und glas umgestaltet. kern ist aber eine performance die jeden tag um 11 uhr stattfindet, die ich leider verpasst habe, in dem sich nackte körper unter und hinter dem glas bewegen, sich konsumierbar machen ohne dass kommunikation möglich wird.
im kanadischen pavillion sprühen in der installation von „A way out of the mirror“ von geoffrey farmer wasserfontänen und andere wasserspiele aus dem boden, im französischen pavillion gibt es ein studio und allerlei instrumente die bespielt werden und im sowie auch auf dem australischen pavillion das video „Vigil“ von tracey moffatt in dem bilder von filmstars, die aus fenstern schauen gegengeschnitten werden mit bildern von flüchtlingen auf booten die am ende zerschellen.
im griechischen pavillion wird die geschichte eines „Laboratory of Dilemmas“ einem labyrinth mit videos und sound erzählt, wo bei einem medizinischen experiment neue zellen entstehen und die wissenschaftler*innen entscheiden müssen, ob sie das neue erforsche auch wenn sie den verlust ihrer jahrelang erarbeiteten forschungsergebnisse riskieren.
wiederrum politische bilder von vladislav šćepanović („Happy Kids“ und „Broadcast Yourself“) gibt es im serbischen pavillion und im österreichischen pavillon kann man selbst in der installation „Just about virtues an vices in general“ von erwin wurm in diversen objekten positionen einnehmen und teil des werks werden sowie auf einen auf den kopf gestellten LKW vor dem pavillion klettern.
ausserdem gibt es im giardini den zentralen pavillion mit den ersten teilen der von christine magel kuratierten zentralen internationalen ausstellung. schon die cafeteria des zentralen pavillions ist ein kunstobject für sich und an einigen stellen des pavillions werben schilder von john waters für das kunststudium.
im video „Tightrope“ von taus makhacheva ist dokumentiert, wie ein seiltänzer nach und nach gemälde über ein seil von einem felsblock zu einem anderen balanciert.
am ende besuche ich noch das theatre of glowing darkness, ein teil des projekts „influenza.“ von kirstine roepstorff im dänischen pavillion. der pavillion ist in teilen zu einem garten verwandelt und die 30minütige show mit viel dunkelheit und etwas licht das sich in glasscheiben bricht hat vor allem einen langen monolog zum inhalt.
am letzten abend sitze ich dann nochmal enspannt bei wein, lassange und tiramisu in einem restaurant am canale auf giudecca und geniesse am ende den sonnenuntergang auf dem dach des sunny terrace hostel.
4 Tage Kultur, Laufen und Bootsfahren kreuz und quer durch Vendig – dann Erholung auf dem Schiff 14 Stunden quer durch die Ägäis bis vor die türkische Küste – bei sicher anderen Temperaturen als vorher an der Nordsee? oder wurde da der lange Bericht von Venedig geschrieben?
ja es ist heiß in venedig und in der ägäis. hier in griechenland ist es zwar mit um die 30° noch wärmer als in venedig, aber es ist auch mehr wind und so ist es angenehmer. auch nachts ist es hier nicht so schwül wie in venedig. und es gibt weniger mücken 😉