nordsee 95
in diesem jahr beginne ich mein anerkennungsjahr als sozialpädagoge im medienbüro der fachhochschule. im april bin ich ein paar tage auf helgoland und im sommer bin ich wieder auf der nordsee und segle mit meiner mutter inge von wilhelmshaven bis nach terschelling, der insel meiner kindheit (bilder bei flickr).
25. august 1995 – terschelling hotel nordzeestrand
von west mit dem fahrrad über den longway, am hotel paal 8 vorbei hierher gefahren. die see ist bewegt. regen am strand. ich gehe in die wellen, traue mich aber nicht sehr weit hinein, da das wasser schon wieder abläuft. aber es ist genial in den wellen zu stehen und mir wind und regen um die ohren pfeifen zu lassen.
1968 und 1969 waren wir die ersten male hier, im hotel victoria, in west-terschelling. ich erinnere mich an matschen im watt, da wo wir jetzt mit dem schiff liegen, an die mondlandung, die wir vor dem fernseher im hotel verfolgten, … später mieteten wir dann ein ferienhäuschen am hotel paal 8 und einen sommer waren wir auch hier im hotel nordzeestrand. wie heute trank ich warme cocomel mit appelgebak. auf den tischen lagen schwere teppiche. das ist heute anders, moderner.
später zeltete ich hier, mein erster urlaub (fast) alleine, inge und ihre freundin elli waren auch wieder hier im nordzeestrand. gedanken über mich, fotos, naturerleben, …
die insel ist ein stück meiner kindheit, der strand, der windschutz hinter dem wir unser lager aufschlugen, die rote grütze in tupperdosen, die wir mit zum strand nahmen. spielen in den dünen, ohne grenzen, ohne zäune, …
die geborgenheit der familienurlaube, mit inge und elli, eine unbeschwerte zeit. danach urlaube im zeltlager der falken, in süddeutschland und ein jahr später auf föhr. als ich alleine hier auf terschelling war, mußte ich auch alleine klarkommen. einkaufen, essen, kochen, ausflüge planen.
später kam dann jonathan (die segelyacht meiner mutter) und bestimmte die urlaube. ich schlief immer auf dem boot und als inge noch den wohnwagen hatte war es irgendwie mein reich. wenn wir rausfuhren kamen die anderen zu mir auf das boot. von anfang an hatte ich das boot im griff und entwickelte so eine gewisse seefahrer-individualität.
ich schrieg gedichte, besuchte schülerInnenseminare und schreibwerkstätten, spielte theater und arbeitete mit ton. ich verliebte mich in einen langhaargien jungen aus meiner klasse und erkannte das ich schwul bin. das ich schwul bin zeigte ich offen jedem und jeder. ich malte mir sogar ein schwulenzeichen auf die hand. aber ihm konnte ich meine liebe nicht offenbaren.
auf dem gymnasium wurde ich politischer, in der schülerInnenvertretung, in der schülerInnenzeitung, dem trotzkopf, die wir dort aufbauten. ich besuchte ein marx-seminar in der volkshochschule und fand viele gedanken, die ich schon vorher im kopf hatte bestätigt. ich ging in die bezirks-schülerInnenvertretung und später, im studium, zum marxistischen studentInnenbund spartkus.
die urlaube auf dem schiff blieben bis heute und gaben und geben mir die möglichkeit zur reflexion, zum aufarbeiten meines lebens zuhause und meiner zukunftsperspektiven.
und heute ist es anders als vor zwanzig jahren, als hier im hotel nordzeestrand noch teppiche auf den tischen lagen. und erinnerungen sind zwar schön, aber ich muß neue wege in meinem leben finden! terschelling ist kindheit und nicht zukunft. wo die zukunft liegt, muß ich noch herausfinden!
1. september 1995 – borkum, promenaden café
stürmischer wind aus nördlichen richtungen bestimmt das wetter, seitdem ich alleine segle. segele ist übertrieben, zunächst binnen von harlingen nach lauwersoog weitgehend motort und dann von lauwersoog hierher auch fünf von sieben stunden.
irgendwie beeindruckt mich der wind mehr als früher, wo er mir gar nicht stark genug sein konnte. jetzt bin ich unsicher, ob ich bei 6 beaufort noch rausgehen soll. und doch erfüllt mich das ankommen nach einer stürmischen fahrt mit großer zufriedenheit.
aber noch mehr ist anders in diesen drei wochen. zunächst die fixierung meiner gedanken darauf, zuerst alleine und dann mit einem freund aus hamburg zu segeln und jetzt die bücher die ich mitgenommen habe, über geschlechtsidentität und zwangsheterosexualität, … ich habe nicht die ruhe, wie sonst (hatte ich sie je?)
ich bin mir auch nicht klar darüber, was weiter wird. der einstieg ins anerkennungsjahr hat, wenn auch mit einem jahr verzögerung, hervorragend geklappt. ich fühle mich sehr wohl im videobereich des fachbereiches sozialpädagogik an der fh und sowas würde ich danach gerne weiter machen. aber da gibt es nur wenige stellen. vielleicht wäre outlaw doch eine möglichkeit, was neues zu machen. seit ich den video dieses segelprojekts für schwierige jugendliche gesehen hab, habe ich auch lust auf outlaw. aber auch hier bin ich unsicher, ob das o.k. für mich ist.