August 16

nord- und ostsee

mit meiner mutter inge segele ich durch den nord-ostsee-kanal bis nach hiddensee und am ende des sommers von kiel wieder zurück nach wilhelmshaven.

94sommer1-38

alle dias von den törns aus der nord- und ostsee 1994 bei flickr >>

cuxhaven

am anfang geht es im mai von wilhelmshaven die jade heraus und über die elbe wieder herein nach cuxhaven. vor mir die nordsee. na ja, das watt vor der nordsee. erst zeit eineinhalb stunden läuft das wasser wieder auf. hinter dem watt, hinter einem leitdamm, die elbe. große schiffe fahren auf die see oder kommen herein. auch ein paar segler. heute morgen waren es mehr. da startete hier eine regatta von cuxhaven nach helgoland. gestern, als wir, von der jade kommend in cuxhaven einliefen, kamen sie von hamburg. am abend war dann seglerInnenparty im yachthafen.

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von cuxhaven geht es weiter über die elbe nach brunsbüttel und durch den nord-ostsee-kanal nach kiel. dann auf der ostsee über laboe, strande und fehmarn nach warnemünde.

94sommer1-26

warnemünde

verschiedene gefühle verbinden mich mit warnemünde. mein erster aufenthalt hier war mit mit einem freund die ‚besuchen sie die ddr solange es sie noch gibt tour‘. damals war hier wirklich noch ddr. wir haben im kurhaus gegessen, ‚gut bürgerlich‘ und günstig, in real-sozialistischer atmosphere. warten vor der türe, bis ein tisch frei wird. plaziert werden. aber auch die gesprächige frau an der gaderobe.

heute ist das kurhaus unter verwaltung einer gmbh und sieht nobler aus. aus einer speisegaststätte ist ein restaurant geworden. aber wenn schon nobel, dann richtig, also in die skybar.

die war früher sicher schon so nobel wie jetzt, wie in den interhotels, in denen wir auf den delegationen beim friedensrat untergebracht wurden.  da ist schon ein reiz des ’noblen lebens‘, den ich auch damals verspürt habe. es war ein gutes zeichen für mich, dass ich in der ddr so ein leben erleben konnte.

danach war ich nach eine mitgliederversammlung der ostdeutschen konferenz der studentInnenräte mit ein paar mitstreiterInnen kurz hier. eine phase, in der ddr schon anders als früher aber doch sehr anders als der westen war. die geschichte der studentInnenräte war auch so ein kurzer aufschwung der emanzipation. die löslösung von der fdj, der aufbau eigener strukturen war spannend. er scheiterte, weil er kein verhältniss zur neuen form der fremdbestimmung im kapitalismus fand. der wille zur unabhängigkeit reicht nicht aus, mensch muß mit den bestehenden abhängigkeiten umgehen. aber damals war der versuch spannend und für mich war es spannend, gegen eine allzuschnelle ‚westanbindug‘ zu wirken, die die spaltung im westen gestärkt und die emanzipation im osten geschwächt hätte.

der versuch war auch spannend, weil hier eine zeitlang wirklich etwas zu erreichen war. in umbruchperioden läßt sich ja immer mehr erreichen. hat sich heute leider ins gegenteil verkehrt.

zum dritten mal hier war ich dann mit einer freudin vom studentInnenrat der uni rostock. das war später, als die wessis die landesregierungen im osten schon fest im griff hatten und baden-württembergische politiker in mecklenburg vorpommern im hochschulbereich dinge durchsetzten, wovon sie in ihrem ländle noch träumen.

eine neue generation in den studentInnenräten geht hier von der reinen interessenvertretung aus. ein ansatz, den ich nach meinen zeiten im marxistischen studentInnenbund spartakus durchaus auch als sinnvoll empfand, weil er die erstarrten strukturen der linken strömungen ende der 80er jahre aufbrach und angesichts dessen, das nach wie vor linke die aktiven waren auch immer noch linke politik gemacht wurde.

abgesehen davon, dass viele leute in den studentInnenräten sich gar nicht so sehr als links verstanden, fehlte jetzt aber doch völlig die erfahrung der organisation. in westen gab es immer noch einige, die die strukturen der alten strömungen zwar falsch fanden, aber nach wie vor dort entwickelte, linke inhalte vertraten. im osten war die entsprechende organisation, die fdj für die meisten aktiven negativ besetzt, die dort entwickelten inhalte waren nicht mehr übertragbar. diese situation teilen sie mit vielen ’neuen‘ asten in westen aus der zeit nach den strömungen.

insgesamt aber fehlen heute für alle die positiven elemente der alten strömungen. nicht ihre linienfights, ihre innerlinken querelen oder ihr dogmatismus. aber ihre analyse von einem gemeinsamen linken, besser noch marxistischen standpunkt aus, die kraft ihrer organisation, die informationen eben doch besser verteilte und aktionen besser organisierte. und auch ihre kaderpolitik, frühzeitig darüber zu reden, was wer wann macht (sinniger weise natürlich mit ihr oder ihm!), wie er oder sie dafür zu qualifizieren ist, etc..

strömungen bilden sich im moment durchauch neu. nur als organisation gibt es nur die jusos, die für viele linke keine alternative sind. es gibt zur zeit einige grüne hochschulgruppen, einige linke, die sich zur zeit keiner organisation oder partei zuordnen würden und einige, die gar keine linken positionen vertreten. noch sind die linken in der mehrheit, aber die grenzen verschwimmen und linken kontinuität hängt nur noch am engagement einzelner menschen. kein guter zustand.

ist die linke auch an den hochschulen am ende? ich hatte zu wenig zeit für solche gedanken und es gab zu wenig raum für solche diskussionen in den letzten jahren. vielleicht gibt es auch dafür raum in einem hoporeferat an der fh düsseldorf.

das vierte mal war ich hier, zu einem gew-seminar im letzten november. inhaltliche diskussionen über die aktuelle hochschulpolitik und auch persönlichere gespräche.

es ist dunkel über warnemünde. leuchtfeuer blinken auf der ostsee, schiffe liegen vor anker und fähren von dänemark kommen und gehen.

94sommer2-18

in rostock besuche ich mit meiner freundin aus dem studentInnenrat das theaterstück: tötespiel, eine inszenierung der rostocker-schauspielschule. ein stück über den krieg und das töten. es wurde in rostock im ‚bunker‘ gespielt, einen kleinen heizungsraum im rostocker volkstheater mit röhren drin und zwei sitzreihen für 20 bis 30 zuschauerInnen. dadurch kam das geschehen sehr nahe. die liebe, die sich zwischen joana und ivan entwickelt, bis sie erkennt, dass er der feindlichen einheit die befehle gab, als sie im steinbruch ihre eltern und ihr ganzes dorf ermordeten. sie erschießt ihn.

gestern dann tötespiel in einer anderen variante: der prozeß gegen ralf, der total verweigert hat. es ist der erste in mecklenburg-vorpommern und gestern war der erste verhandlungstag in der zweiten instanz.

Der kleine Gerichtssaal des Landge­richtes in Rostock ist voll. Es sind vor allem Jugendliche die den Saal füllen. Vorne sitzt Ralf, über den hier gerich­tet werden soll. Auch sein Anwalt, Gün­ter Werner aus Bremen, und der Staatsan­walt, ebenfalls aus dem Westen, sind schon da und warten auf den Westrichter. Ralf und die Anwälte erheben sich bei seinem Eintreten, die Jugendlichen im Publikum nicht. Alles noch etwas locke­rer hier, denke ich mir. Denkt der Rich­ter wohl auch, allerdings aus seiner Perspektive.
Er befragt Ralf ausführlich über seine persönliche Geschichte, über sein Leben in der DDR. Ralf war schon in seiner Ju­gend nicht bereit gewesen, drei Jahre bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in Kauf zu nehmen um einen sicheren Studi­enplatz zu bekommen. Er machte eine Lehre und auch später verweigerte er den Dienst bei der NVA. Auch als sogenannter ‚Spatensoldat‘. Ralf wollte den Kriegs­dienst in keiner Weise stützen, weder mit, noch ohne Waffe. Die DDR-Organe reagierten damals, wenige Wochen vor der Öffnung der Mauer, nicht mehr darauf.
Aber Anfang 1991 melden sich die BRD-Or­gane und fragen ihn, ob er seine Verwei­gerung in der BRD aufrechterhalte. Ralf bejahte dies und wurde als Kriegsdienst­verweigerer anerkannt. Erst später er­kannte er, was Zivildienst bedeutet, dass es dabei nicht nur um humanitäre Hilfe im sozialen Bereich geht. Er las die Ge­setze und Verordnungen über den Zivil­dienst und stellte fest, dass Zivis im ‚Verteidigungsfall‘ genauso behandelt werden wie Soldaten, dass sie dann unbe­grenzt Dienst leisten müssen um im Sa­nitätsbereich und im Zivilschutz einge­setzt zu werden und um Funktionen zu er­füllen, ohne die heute ein Krieg nicht führ­bar wäre. Er müßte zwar nicht schießen, aber er müßte Soldaten gesund­pflegen, damit die wieder schießen können.
Der ‚Zivildienst‘ unterschied sich also nur äußerlich vom Dienst als ‚Spaten­soldat‘ in der NVA. Also verwei­gerte Ralf auch den ‚Zivildienst‘. Weil dem Gericht in der ersten Instanz diese Argumentation schlüssig erschien, hatte es ein realtiv geringes Urteil von 90 Tagessätzen von 15 DM gefällt. Der Staats­anwalt hatte dagegen Berufung ein­gelegt, weil für ihn der Gewissenskon­flikt nicht schlüssig war.
Den Richter interessierte das alles aber wenig. Er fragte nur immer wieder, was denn an der Tätigkeit in dem Altenheim, in dem Ralf arbeiten sollte, Kriegs­dienst wäre. Immer deutlicher wurde, dass er Ralfs Verhalten ablehnt. Er versteht überhaupt nicht, dass jemand der in einen Krieg eingeplant wird sich an dem Krieg auch schuldig fühlt. Ralf solle seinen Vater mal fragen, ob er sich am zweiten Weltkrieg schuldig fühle, weil er einen Stahlhelm getragen habe, meint er.
Am Anfang war es nur die Unkenntnis der Westjuristen über das Leben in der DDR, die mich daran zweifeln ließen, ob sie hier überhaupt Rechtsprechen können. Aber offensichtlich ist da nicht nur Un­kenntnis. Hier werden neue Standards gesetzt. In diesem Prozeß steht zum er­sten mal in Mecklenburg-Vorpommern ein Totalverweigerer vor einem Landgericht. Das Urteil wird Folgen haben, nicht nur für Ralf und es scheint, dass hier ein Richter und ein Staatsanwalt ein Exempel statuieren wollen, um hier im Nordosten der Republik frühzeitig zu zeigen, woher der Wind weht.
Der Prozeß wurde vertagt, das Urteil wird erst nach Redaktionsschluß gespro­chen. Gutes ist nicht zu erwarten.

beitrag für die fh changes, zeitung der freien konferenz der studentInnenschaften an fachhochschulen

„Der kleine Gerichtssaal des Landge­richtes in Rostock ist voll. Es sind vor allem Jugendliche die den Saal füllen. Vorne sitzt Ralf, über den hier gerich­tet werden soll. Auch sein Anwalt, Gün­ter Werner aus Bremen, und der Staatsan­walt, ebenfalls aus dem Westen, sind schon da und warten auf den Westrichter. Ralf und die Anwälte erheben sich bei seinem Eintreten, die Jugendlichen im Publikum nicht. Alles noch etwas locke­rer hier, denke ich mir. Denkt der Rich­ter wohl auch, allerdings aus seiner Perspektive.

Er befragt Ralf ausführlich über seine persönliche Geschichte, über sein Leben in der DDR. Ralf war schon in seiner Ju­gend nicht bereit gewesen, drei Jahre bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in Kauf zu nehmen um einen sicheren Studi­enplatz zu bekommen. Er machte eine Lehre und auch später verweigerte er den Dienst bei der NVA. Auch als sogenannter ‚Spatensoldat‘. Ralf wollte den Kriegs­dienst in keiner Weise stützen, weder mit, noch ohne Waffe. Die DDR-Organe reagierten damals, wenige Wochen vor der Öffnung der Mauer, nicht mehr darauf.

Aber Anfang 1991 melden sich die BRD-Or­gane und fragen ihn, ob er seine Verwei­gerung in der BRD aufrechterhalte. Ralf bejahte dies und wurde als Kriegsdienst­verweigerer anerkannt. Erst später er­kannte er, was Zivildienst bedeutet, dass es dabei nicht nur um humanitäre Hilfe im sozialen Bereich geht. Er las die Ge­setze und Verordnungen über den Zivil­dienst und stellte fest, dass Zivis im ‚Verteidigungsfall‘ genauso behandelt werden wie Soldaten, dass sie dann unbe­grenzt Dienst leisten müssen um im Sa­nitätsbereich und im Zivilschutz einge­setzt zu werden und um Funktionen zu er­füllen, ohne die heute ein Krieg nicht führ­bar wäre. Er müßte zwar nicht schießen, aber er müßte Soldaten gesund­pflegen, damit die wieder schießen können.

Der ‚Zivildienst‘ unterschied sich also nur äußerlich vom Dienst als ‚Spaten­soldat‘ in der NVA. Also verwei­gerte Ralf auch den ‚Zivildienst‘. Weil dem Gericht in der ersten Instanz diese Argumentation schlüssig erschien, hatte es ein realtiv geringes Urteil von 90 Tagessätzen von 15 DM gefällt. Der Staats­anwalt hatte dagegen Berufung ein­gelegt, weil für ihn der Gewissenskon­flikt nicht schlüssig war.

Den Richter interessierte das alles aber wenig. Er fragte nur immer wieder, was denn an der Tätigkeit in dem Altenheim, in dem Ralf arbeiten sollte, Kriegs­dienst wäre. Immer deutlicher wurde, dass er Ralfs Verhalten ablehnt. Er versteht überhaupt nicht, dass jemand der in einen Krieg eingeplant wird sich an dem Krieg auch schuldig fühlt. Ralf solle seinen Vater mal fragen, ob er sich am zweiten Weltkrieg schuldig fühle, weil er einen Stahlhelm getragen habe, meint er.

Am Anfang war es nur die Unkenntnis der Westjuristen über das Leben in der DDR, die mich daran zweifeln ließen, ob sie hier überhaupt Rechtsprechen können. Aber offensichtlich ist da nicht nur Un­kenntnis. Hier werden neue Standards gesetzt. In diesem Prozeß steht zum er­sten mal in Mecklenburg-Vorpommern ein Totalverweigerer vor einem Landgericht. Das Urteil wird Folgen haben, nicht nur für Ralf und es scheint, dass hier ein Richter und ein Staatsanwalt ein Exempel statuieren wollen, um hier im Nordosten der Republik frühzeitig zu zeigen, woher der Wind weht.

Der Prozeß wurde vertagt, das Urteil wird erst nach Redaktionsschluß gespro­chen. Gutes ist nicht zu erwarten.“

(beitrag für die fh changes, zeitung der freien konferenz der studentInnenschaften an fachhochschulen)

hiddensee

von rostock segeln wir weiter über den darß bis nach hiddensee. wieder diese ddr-atmosphere. der biergarten, die biergläser im standarddesign und selbst das bier schmeckt wie früher. ich spüre hier immer wieder, dass auch ich etwas verloren habe. der ausdruck, ein traumland ist im osten zusammengebrochen stimmt schon. nicht immer ein wunschtraum, hin und wieder auch ein alptraum, aber — wie alle träume — anziehend! immer wieder. und jetzt gibt es das land nicht mehr und was daran anziehend war, das wunschtraum ebenso wie das alptraumhafte verschwindet immer mehr. es bleiben erinnerungen.

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von hiddensee segeln wir nach stralsund und kommen in stürmisches wetter, wo wir nach einer schweren gewitterböe auf den bodden südöstlich von hiddensee einige gekenterte jollensegler aufgefischen und gemeinsam mit einem andern schiff in den hafen schleppen.

94sommer3-05

322 seemeilen waren wir von wilhelmshaven bis stralsund unterwegs.

im august fahre ich dann nochmal nach kiel, wo inge nach törns auf der ostsee bis nach dänemark mit anderen wieder angelangt ist und bringe mit ihr die segelyacht jonathan zurück nach ostfriesland zu den inseln und nach bensersiel und zurück nach wilhelmshaven. insgesamt war ich damit 490 seemeilen unterwegs.

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thomas molck

Veröffentlicht16. August 1994 von xthomas in Kategorie "de nordsee", "de ostsee

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