November 8

chicago

und wieder auf dem weg nach chicago. etwas krank fliege ich anfang november zunächst nach chicago und später weiter nach mexico city. ich erkunde die stadt um den loop, besuche kulturzentren und museen und das chicago lebian and gay film festival.

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alle bilder aus chicago bei flickr >>

auf dem flug sehe ich diesmal weniger von grönland, weil der himmel recht bedeckt ist, aber in chicago soll das wetter gut sein. auf dem o’hare airport dann wieder die einwanderungs- und zoll prozedur. ich stelle mich in die kürzeste schlange und habe die möglichkeit, entweder zu einem nett aussehenden, jungen beamten zu kommen oder zu einem älteren mit glatze der relativ reaktionär aussieht. ich komme natürlich zu letzteren aber es läuft erstaunlich problemlos. als beruf gebe ich jetzt “webdesigner” an. erst horcht der beamte auf “WHAT?”, ist dann aber zufrieden als ich klarstelle, dass ich kein weapondesigner sondern ein webdesigner bin.

der zoll, der mich anfang des jahres so genervt hat, winkt mich diesmal ohne kontrolle durch.

ich fahre mit dem el-train (elavatet train, die hoch- und untergrundbahn in chicago) an riesigen autoschlangen auf dem highway entlang zügig in den stadtteil lincoln park. im arlington house habe ich ein zimmer reserviert. das hostel ist ok, weniger touristische infos als in den jugendherbergen, etwas heruntergekommene sanitäre anlagen aber ein schönes zimmer.

ich leiste mir für die vier nächte ein einzelzimmer für 41 $ weil ich nachts soviel huste, aufwache, aufstehe und so. aber der luxus seine sachen einfach herumliegen lassen zu können und sich auszubreiten ist auch ganz nett. am ersten abend unternehme ich nichts mehr sondern gehe um 10 uhr ins bett. in deutschland ist es schließlich schon 5 uhr morgens.

am freitag morgen frühstücke ich im hostel. für 2 $ gibt es schlecht gebratenes rührei, cornflakes und toast. muss nicht nochmal sein. überhaupt eine seltsame atmosphäre hier. einige älter und ärmer aussehende leute die auch auf der straße leben könnten und ein paar jüngere touristInnen. von denen sehe ich aber nur zwei beim frühstück, die anderen kennen es wohl schon.

am vormittag laufe ich erstmal etwas in der nachbarschaft herum. ein ruhiger stadtteil mit einer kinderklinik und der de paul university. ich finde einen supermarkt und kaufe mir obst und wasser zum gesund werden.

meinen zweiten kaffee trinke ich im bourgois pig cafe auf der folkerson street – ein sehr nettes cafe gegenüber dem childrens memorial hospital mit französischen chansongs und vielen kaffee sorten – und lese die chicago sun times.

morgen findet ein großes “Memorial Event” der chicago bears für walter payton statt. nirgendwo steht, wer das ist, ob er gestorben ist, … weiss hier wohl jeder und jede.

nach dem zweiten frühstück fahre ich mit dem el-train zum downtown loop. die el-trains fahren hier zum größten teil als hochbahn über den straßen. in der city ist deshalb fast jede dritte straße “überdacht” weil die stahlträger der el-trains über ihr liegen. der downtown loop hat seinen namen ebenfalls vom el-train, da die züge rund um den “loop” eine schleife bilden. fast alle linien fahren, zumindestens einen teil, um diesen loop herum. nur zwei linien fahren mitten durch und zwischen allen linien gibt es im loop “free transfer stations” wo mensch, ohne neu zu zahlen, teilweise durch lange fußgängertunnel die zum nächsten straßenblock führen, von einer linie zur anderen wechseln kann.

ich steige bei den sears towers aus und fahre die 443 meter das höchste gebäude der welt hinauf.

die stadt ist anders als new york aus dieser höhe. sicher, auch hier sehe ich nirgendwo ein ende der städtischen bebauung, abgesehen natürlich vom lake michigan im osten.

aber es gibt ein klares zentrum, den loop, von dem aus die straßen, highways, eisenbahnlinien und flüsse ihren weg in die ferne nehmen.

vielfältige, architektonisch beeindruckende skyscraper beherrschen die skyline des zentrums. dunst hängt über dem lake michigan. bei besserem wetter sollen von hier aus vier bundesstaaten der usa zu sehen sein, heute sehe ich nur chicago.

nach dem abstieg setze ich meine suche nach einem 3-tage-ticket der chicago transit authority (CTA) fort. ich hätte mir das ticket am flughafen kaufen sollen, jetzt bekomme ich es nirgendwo. in den el-train stationen wird es nicht verkauft, im supermarkt gibt es nur 1- oder 7-tage-tickets. hier in den sears towers soll es sie geben und ich frage in den shops, aber alle winken nur ungläubig ab.

überall gibt es – meist farbige – ordnerInnen die aufpassen, dass die leute sich richtig an den ticket-schaltern anstellen oder ein paar meter vor den aufzügen warten, bis sie einen aufzug geholt haben und sie einsteigen lassen oder einfach nur rumstehen und aufpassen, dass keine obdachlosen “sich herumtreiben”.

eine von ihnen gibt mir schließlich den entscheidenden tip und im geschenkeshop im 2. untergeschoss bekomme ich schließlich mein ticket.

danach laufe ich durch den loop zum chicago cultural center. in diesem haus gibt es büros der tourist information, des kulturamtes. möglichkeiten zur internet recherche, veranstaltungssäle, ein theater, eine photogallerie, ein cafe in dem konzerte und lesungen stattfinen und das museeum broadcast communications. neben den üblichen exponaten (alte radios, videos früherer fernsehshows, etc.) gibt es hier ein radio und ein tv studie, aus denen auch gesendet wird und in denen mensch rumlaufen und alles ansehen und anfassen kann. auch kann mensch sich hier, wie in los angelos, filme und tondokumente aus dem archiv aussuchen und ansehen bzw. -hören.

zwei schrifttafeln und videos sind den themen “tv und politics” gewidmet. es geht um die anfänge der nutzung des fernsehens für wahlwerbung. eisenhower setzte als erstes massiv tv spots im wahlkampf ein. ein video dokumentiert die aufzeichnung der ersten “great debate” im fernsehen zwischen kennedy und nixon am 26.9.1960 in chicago. die dokumentation analysiert vor allem die “debatte in der debatte”, die art, dauer und häufigkeit der kameraeinstellungen auf kennedy und nixon, die nonverbalen signale der beiden (lächeln beim sonny boy kennedy, schwitzender nervöser nixon). millionen zuschauer verfolgten die debatte. das ergebniss war beeindruckend. in den umfragen vorher stand es 39,3% für nixon zu 31% für kennedy. unter den fernsehzuschauerInnen hatte kennedy nach der debatte 33% gegenüber 29% für nixon. unter denen, die die dabatte im radio gehört hatten stand es allerdings 48,7% für nixon und nur 27% für kennedy. und neben dem video steht dann auch im original die “camera that changed america”.

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vom chicago cultural center gehe ich auf der straße in den “pedastrian undergound”, ein system von fußgängertunneln unter dem loop, das es ermöglicht auch bei regen trocken und ohne ampeln von block zu block zu gelangen. überhaupt ist die verkehrsführung hier um den downtown loop sehr interessant. einige straßen rund um den chicago river verlaufen auf zwei ebenen, fußgängerwege gibt es über- und unterirdisch, züge erreicht mensch über das untergrundsystem und die el-trains fahren sowohl unterirdisch als auch auf stählernen gerüsten über den straßen.

unterirdisch durchqueren die red line und die blue line den loop unter der state und der dearborn straße. jeweils drei stationen liegen in einem langen großen tunnel mit einem durchgehenden bahnsteig in der mitte so dass mensch im untergrund die drei stationen auch zu fuß entlanglaufen kann. zusätzlich sind die tunnel durch quertunnel zwischen den beiden straßen verbunden um einen “free transfer” zwischen der red line und der blue line zu ermöglichen.

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ich laufe über den chicago river zur madison avenue. es ist schon spät und daher halte ich mich nicht lange auf der “königsallee” chicagos auf sondern laufe weiter zur state und fahre mit dem CTA bus 36 zurück zur arlington road. aber die busse brauchen länger als die el-trains und so gehe ich gar nicht mehr nach hause sondern steige gleich in den nächsten CTA bus 22 und fahre bis zum wrigly field (bild oben), einem der ältesten basket ball stadien und laufe von dort zum music box theater.

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ein alternatives kino. ausgestattet wie das castro in san francisco. die wände sind mit vielerlei figuren und vielen kleinen leuchten verziert, vor der vorstellung spielt ein mann live auf der kinoorgel, viel roter plüsch, …

hier werden heute die “reelings”, das 19. chicago lesbian and gay international festival mit “Bedroom and Hallways”, einem britischen film der chicagoer regisseurin rose troche eröffnet. eine komödie über gender toubles. leo, der darsteller von thommy in trainspotting, lebt mit einem schwulen und einer frau in einer wg und geht eines tages in eine new age männergruppe. während die männer unten mit einem “ehrlichkeitsstein”  arbeiten und ein mann dabei schreiend ausflippt, trifft sich oben in der sauna die frauengruppe. als es dann zu laut wird hauen sie mit einem besen auf den boden. der ausflippende nimmt das als zeichen. “it is my father. he beats me” … der film ist voll solcher kleinen witze, von denen ich sicher viele gar nicht verstanden habe.

der heterosexuelle leo beginnt eine affaire mit einem anderen hetero aus der gruppe. später stellt sich heraus, das der mit seiner jugendliebe zusammen ist. wärenddessen hat sein schwuler mitbewohner eine wilde affaire mit einem immobilienmakler, der mit ihm in den häusern die er verkauft schläft. in einem haus fesselt er ihn mit handschellen ans bett und beginnt einen neue session. doch als die besitzerin – leos jugendfreundin – plötzlich auftaucht, läßt er ihn einfach so liegen. die konfusion ist komplett.

auch wenn ich wieder mal zu wenig verstanden habe, ein schöner film, von dem ich in der nacht noch träume.

am samstag morgen frühstücke ich im bourgois pig cafe in der sonne.

nach dem frühstück fahre ich mit der red line zur harald washington public library. ein sehr grosses gebäude an der state street ecke von huren, das einen ganzen block einnimmt. hier gibt es die “computer connection” wo an etwa 30 vernetzten pc’s mit office anwendungen und internetzugang gearbeitet werden kann.

in der bibliothek gibt es auch kurse zur einführung. ich schreibe mich in eine warteliste ein und warte ca. 45 minuten um an einen pc zu kommen. besser ist es, vorher termine zu machen. ich schreibe mails nach deutschland, surfe ein wenig und gehe dann in die neunte etage ins “beyond words cafe”.

in der neunten etage gibt es in der mitte des gebäudes einen grossen saal mit einer glaskuppel, durch die die sonne hereinscheint. auf der südseite des gebäudes ist das cafe, von dem mensch gut auf das chicago hilton hotel sehen kann. ein riesiger backstein klotz der von hier eher wie eine alte fabrik als wie ein nobelhotel aussieht. unterhalb des hotels liegen die schienen der el-trains, die hier von süden in den loop einfahren.

von der library laufe ich hinunter zum grand park. dieser park zwischen dem lake michigan und den wolkenkratzern des loops ist recht groß.

dass die expansion der büro- und geschäftshäuser hier stoppt ist schon erstaunlich, aber trotzdem ist ein teil zur zeit baustelle. der park wird nämlich zum “millenium park” ausgebaut!

von hier sieht das chicago hilton schon etwas mehr nach hotel aus. direkt daneben liegt das columbia college mit dem museeum of contemporary photographie, in dem gerade eine ausstellung mit photos von victor skrebneski stattfindet. bilder von menschen, die etwas über diese menschen erzählen. durch die umgebung, die kleidung und die perspektive.

im gebäude des columbia college, 600 south michigan avenue, wird auch sonst mit medien gearbeitet. photographie, druck, film, …

ich fahre in das 15. stockwerk. in einem studio mit offener türe findet gerade eine tv kameraeinführung statt. etwas tiefer, im 9. stock, riecht es nach entwickler und zelluloid. die abteilung film und video.

das haus hat eine angenehme atmosphere. bilder aus filmen an den wänden, infos über geplante projekte an pinnwänden, …

aber draussen wird es schon fast dunkel und so beeile ich mich, mit dem CTA bus 146 zum adler planetarium zu fahren. das planetarium bildet die östliche spitze der halbinsel des museeum campus. von hier aus ist der blick auf die skyline von chicago im sonnenuntergang echt beeindruckend.

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ich laufe rund um das planetarium  am lake michigan entlang und komme zunächst zum merrill c’meigs field flughafen und dann zum yachthafen. aber es ist winter. natürlich sind keine schiffe im wasser.

ich laufe zurück richtung stadt und werfe noch einen blick ins field museeum. hier gab es heute ein sonderprogramm wegen der gedenkfeier für payton die am nachmittag im benachbarten soldier field stattgefunden hat. soldier field – schon ein seltsamer name für ein football stadion.

im museeum sind viele tische mit gedecken für ein festessen und eine bühne aufgebaut. der größte museale dinosaurier kommt in dem durcheinander von gastronomie, bühnen- und tontechnik gar nicht richtig zur geltung.

mittlerweile ist es dunkel geworden und ich fahre mit bussen zur union station. ein mächtiger klotz, aber auf keiner seite gehen züge ab und die meisten eingänge sind “closed”. ich brauche eine weile, bis ich auf der canal street auf der dem gebäude gegenüberliegenden straßeseite einen eingang finde, der in den untergrund führt.

von hier aus komme ich auch unterirdisch in das große und mächtige union station gebäude, das aber nur noch einen riesigen wartesaal beherbergt. der eigentliche bahnhof liegt unter der erde, unter strassen und hochhäusern. hier sind die fahrkartenschalter, gepäck check ins und gepäckbänder wie am flughafen und die bahnsteige und gleise.

von hier geht es dreimal in der woche mit dem texas eagle in einer 2 1/2 tägigen fahrt nach los angelos, täglich mit dem california zephyr in 2 tagen fahrtzeit nach san francisco und dreimal in der woche mit dem cardinal in 24 stunden nach washington mit anschluß nach new york city.

von der union station laufe ich zur el-train station quincy und fahre mit der orange und der red line nach belmond. boys town. schon gestern auf der fahrt zum musik box theater war mir diese gegend mit den vielen bunten lichtern und läden aufgefallen. jetzt bin ich hier im gay und lesbian chicago.

einer der angesagtesten läden – laut meinen internet guides – ist das berlin, gleich bei der el-train station. schwarze wände, video-monitore auf beiden seiten, eine bar auf der rechten seite, eine handvoll männer und frauen. “3 propper id’s, 1 with photo required”  steht an der türe. mich fragt niemand nach meinem ausweis. vielleicht erst später am abend.

da hier offensichtlich erst viel später was los ist, beschliesse ich erst mal was zu essen. an der ecke belmont und sheffield finde ich ein “amerikanisches restaurant”, das “muskies”. weiße kacheln, metall stühle mit plastik polstern in metallic rot, zwei parallel laufende fernseher (sinnvollerweise nur einer mit ton), in der mitte ein u-förmige theke wo die bestellung aufgegeben wird. burger, pizza, chicken, gyros, …

ich esse zähe hähnchenschenkel mit schlechten pommes und beobachte den betrieb. viele kommen hier her, bestellen etwas und nehmen es in braunen plastiktüten mit nach hause. das essen wird auch auf telefonische bestellung hin gebracht. nur wenige leute essen hier im laden.

trotzdem bleibe ich, trinke kaffee und schreibe. danach schaue ich auf der north holsted, der “schwulen straße” chicagos noch ins lucky horse. eine wenig spannende kneipe wo an einer großen u-förmigen theke ältere männer sitzen. in der mitte tanzt ein gogo boy in leder tanga, andere sitzen mit an der theke.

ich fahre mit der red-line eine station zur addison und gehe weiter zum music box theater um mir “beefcake” anzusehen. “an historic punch to the muscle boy in all of us.” der halb dokumentarische film handelt von den muskel-magazinen der 50er jahre, die muskulöse männer in spährlicher bekleidung in pose zeigten. fotos aus den magazinen wechseln mit interviews mit den damaligen modellen und einer spielhandlung über den herausgeber eines magazins der in los angelos junge männer um sich scharte die filmstars werden wollten oder mit großen augen die bodybuilder am muscle beach in venice bestaunten. er ließ sie bei sich wohnen, fotografierte und filmte sie.

die jungs fühlten sich wohl in der muscle villa, trainierten, spielten und manche hatten sex miteinander und mit dem fotografen. aber das prüde amerika zerschlägt die muskel idylle. zuerst bekommt der herausgeber der magazine probleme mit der post. die titelfotos zeigen muskel männer in knappen string tangas. aber die tangas sind mit wasserfarbe gedruckt und wird das papier nass, so sind die männer nackt. später kommt er vor gericht, weil er sex mit einem 16jährigen hatte und wird verurteilt.

nach dem film laufe ich die addison hinunter bis zur north holsted street, dem herzen der “boys town”. auch hier – wie in west hollywood – ist der charakter der straße schon an der straßen dekoration zu erkennnen. silberne säulen mit ringen in den regenbogen farben und der aufschrift “north holsted” zieren die gehwege.

im norden beginnt “boys town” mit dem “north end”, eine dem “stonewall in” in new york city ähnliche kneipe mit pool billiard und musikvideos. etwas weiter im süden folgt das “circuit”, eine disco mit lightshow, dance floor musik. am heutigen samstag bin ich nicht fit genug um länger in einer disco zu bleiben und spare mir die 8 $ cover und laufe weiter nach süden. nach circa vier blocks kommt die night-life-station mit mehreren kneipen und discos. die “roscoe’s tavern” ist eine größere kneipe die – obwohl nur noch zwei stunden geöffnet – immer noch 3 $ cover haben will. aber gegenüber das “cocktail” und das “sidetrack” haben keinen eintritt.

das „cocktail“ ist eine nette kneipe mit grünen zweigen über der theke, kürbis- lampingongs, die von der decke hängen und 70th musik. das „sidekick“ ist eine größere disco mit sehr vielen monitoren und beamern wo zu den musikstücken videos gezeigt werden. auf der leinwand läuft der time warp aus der rocky horror picture show und auch sonst ist die musik eher 70th.

beide läden gefallen mir – auf ihre jeweilige art, die cocktailbar und die videodisco – ganz gut, aber das publikum ist auch hier mal wieder wenig alternativ. kein mann mit langen haaren, alle chic, modisch und cool.

da die rauchige luft meiner erkältung sowieso recht schlecht bekommt, ziehe ich weiter nach süden. aber viel gibt es nicht mehr. das „gentry“, eine pianobar mit entsprechend ruhiger musik läd zum hinsetzen und relaxen ein, aber ich bin müde und laufe weiter bis zur belmont. das „berlin“ ist jetzt auch voll und verlangt 5 $ cover und so setze ich mich in die red line und fahre eine station weiter zur folkerson und gehe nach hause.

am sonntag morgen frühstücke ich wieder in meinem stammcafe, dem bourgois pig cafe auf der folkerson. es ist sehr nett hier, bei französichen chansongs an dem großen glasfenster zur straße in der warmen sonne zu sitzen, mit einer großen tasse „dark coffee“ (columbianische mischung) und einem getoastetem bagel.

nach dem früststück fahre ich mit der red-line bis zur chicago avenue und laufe zum museeum of contemporary art. auch hier, nördlich des loops rund um den geschäftigen teil der michigan avenue bestimmen moderne skyscraper das bild, allerdings immer wieder durchmischt mit älteren gemäuern wie zum beispiel dem water tower. er wirkt recht klein zwischen den hochhäusern und viel dominanter ist – hinter dem kleinen turm – ein stahlbetonklotz ohne fenster mit der aufschrift „Water Tower Place“.

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kurz vor dem ende der chicago avenue am lake michigan liegt das museeum of contemporary art, auch ein großer grauer klotz, nur die von beat streuli mit alltagsgesichtern im urbanen kontext versehenen großen fenster fallen aus dem rahmen. vor dem museeum stehen mit zement ausgegossene schuhe mit langen messingstäben und figuren darauf. daneben ein hinweis „BUS STOP TO SOFA“. SOFA ist eine alltags-design messe die gerade auf dem navy pier stattfindet.

ich gehe in das museeum hinein. von innen wirken die gesichter auf den fenstern noch interessanter, wenn zum beispiel durch eine backe die hochhäuser der michigan avenue zu sehen sind.

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im museeum gibt es keine feste sammlung sondern nur ausstellungen. sehr viele ausstellungen beziehen sich auf neue medien. im dritten stock gibt es eine ständige videogallerie. in einer retrospektive von robert heinecken gibt es immer wieder fernsehbilder, vom scanner fotografiert, bilder umrahmt von einem fernseher, die story von nbc’s suche nach einer neuen nachrichtensprecherin in wort und bild, …

aber am spannensten ist die ausstellung “transmute”. sehr unterschiedliche objekte aus der sammlung des museums sind hier zusammengestellt. in einem der hinteren räume liegt eine matratze auf dem boden, daneben ein kleid und da wo der kopf aus dem kleid ragen würde liegt eine kugel oder ein ballon unter der matratze auf den das gesicht einer frau projeziert ist, die den besucherInnen spricht “i knew what you think …”

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daneben stehen zwei bildschirme, einer ist ein touchscreen dessen bild auch auf eine leinwand projeziert wird. das bild besteht aus verschiedenen unterschiedlich großen rechtecken. mit einem touch können sie aktiviert werden und dann können die bilder darin vergrößert und verkleinert werden. so entstehen neue kompositionen. zusätzlich können verschiedene bilder gewählt werden und auf dem zweiten monitor angesehen und dann in eines der rechtecke eingebaut werden. der besucher und die besucherin sollen so zum “virtual artist” werden, schreibt der ausstellungsmacher joshua decker im begleitblatt zur austellung.

ich esse noch einen salat im museumscafé und laufe dann zurück zur red line mit der ich wieder zum musik box theater fahre.

“The Films of Michael Brynntrup” stehen hier auf dem programm, in anwesenheit des berliner filmemachers. im programm wird von der “fascinating work of german avant-garde filmmaker Michael Brynntrup” geschrieben, von dem auch das moma in new york city bereits eine retrospektive gestaltete.

der erste film ist auch wirklich vielversprechend. “All you can eat” (1993, 5,5 min), ein porno der anderen art, gezeigt werden die gesichter von männern beim orgasmus, sonst nichts.

der nächste film “My second vers” (1993, 10 min) ist dann eher langweilig. brynntrup zelebriert seine ersten erfahrungen mit seiner neuen videokamera, langatmig mit vielen unnötigen wiederholungen in schlechter qualität sehen wir ihn und seine neue kamera.

mit “Cain und Abel” (1994, 10 min) ist dann die inzenierung des brudermordes thema, in “LOVERFILM” (1996, 21,5 min) listet brynntrup seine vielfältigen und vielzähligen lover in wort und bild auf und “tabu V”  (1998, 13 min) verfilmt verschiedenste gedankengänge im zusammenhang mit seinem tagebuch.

der spannenste film ist aber für mich “Aide Mémoire” (1995, 16 min) der zum größte teil aus zwei längeren interviews mit jürgen baldiga besteht, hin und wieder unterbrochen von einem musiker am leierkasten und einer gegen den schwulen abschaum wetternden nachbarin auf dem hof. baldiga und brynntrup sprechen miteinander nicht wie in einem interview sondern wie zwei jungen, die ihre neue kamera ausprobieren, aber da wird – anders als im inhaltsleeren “My second vers” – viel von der persönlichkeit baldigas deutlich, von seinen sehnsüchten, seinem umgang mit seiner hiv-infizierung und erkrankung, mit fotografie, …

in der fragestunde nach den filmen sagt brynntrup, dass er sehr gerne mit super 8 arbeitet weil das ein medium für jeden und jede sei, denn “everybody is a filmmaker”. vor diesem hintergrund ist dann auch “My second vers” nachvollziehbarer, wenngleich ich denke, das mensch auch jeder und jedem vermitteln kann, wie spannende filme funktionieren.

nach den filmen von michael brynntrup folgt der dokumentarfilm “The man who drove with Mandela” über cecil williams, einem schwulen kommunist und theaterdirektor der in südafrika gelebt hat und eine wichtige rolle im kampf gegen die apartheit hatte: er organisierte treffen und brachte mandela dorthin indem er sich von mandela fahren ließ und ihn als seinen chauffeur ausgab. die treffen führten dazu, dass schwarze und weiße zusammenkamen um gegen die apartheit zu kämpfen.

aber der film erzählt mehr als die vorbildliche arbeit eines weißen genossen in südafrika, er zeigt die persönlichkeit in ihrer gesamtheit, in der der kampf gegen apartheit und für emanzipation von schwarzen und schwulen eine einheit bilden.

nach fast vier stunden kino bin ich nicht mehr besonders fit und fahre mit der red line zurück zur fullerton um ein letztes mal im bourgois pig café kaffee zu trinken und zu schreiben. wie am morgen sind auch jetzt viele studentInnen hier und lernen, lesen, schreiben, …

und schließlich gehe ich früher als in den letzten tagen im arlington house ins bett.

am montag stehe ich sehr früh auf damit ich um 8 uhr am flughafen bin. ein letztes mal fahr ich mit den el-trains durch die stadt zum o’hare flughafen. nach dem check in will ich noch meine dollar in pesos tauschen, aber ich finde keine wechselstube. ich frage eine flughafenangestellte. im terminal 2 und im terminal 5  soll es eine geben. ich laufe zum terminal 2. abgesehen von dem abgelegeneren terminal 5 sind die terminals des o’hare flughafens alle miteinander verbunden, so dass es möglich ist zwischen ihnen hin und her zu laufen ohne die „sicherheitszone“ zu verlassen. aber im terminal 2 gibt es auch keine wechselstube. aber am gate K 9 in terminal 3 soll es eine geben meint eine andere angestellte. die wegen durch die terminals ziehen sich sehr lang und als ich endlich am gate K 9 angelangt bin, gibt es dort auch nix. frustriert mache ich mich auf den langen weg durch gläserne gangways zwischen den terminals hindurch zurück zum united-terminal.

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thomas molck

Veröffentlicht8. November 1999 von xthomas in Kategorie "us chicago

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