wien
drei tage verbringe ich am ende meiner tour nochmal in wien, im von barock über gotik, romantik und renaissance bis zum jugendstil geprägten zentrum, im teils türkisch geprägten aber auch gentrifizierten yppenplatzviertel, am karl-marx-hof, am badeschiff, im cafe savoy am naschmarkt und in den diversen museen moderner kunst.
alle bilder aus wien bei flickr >>
in wien habe ich ein zimmer nah am hauptbahnhof im hotel schani genommen, ein hotel, das mir auch schon beim besuch 2018 sehr gut gefallen hat, etwas coworking-orientiert mit verspieltem wiener stil, ausleihbaren e-rollern und skateboards, … nur das frühstück, das ich mir am samstag leiste ist zwar auch sehr gut aber mit 22 euro doch etwas überteuert.
nach dem frühstück mache ich mich mit der tram auf den weg in die stadt. ich habe mir über die wien mobile app der „wiener lienien“ ein 7-tage-ticket gekauft, wobei ein 72-stunden-ticket auch knapp gereicht hätte, aber aus irgendwelchen gründen kosten beide 17,10 euro und daher nehme ich das 7-tage-ticket, falls ich am dienstag noch kurz vor abfahrt meines zuges mit einer bahn fahre, was dann knapp aus den 72 stunden herausfallen würde.
ich fahre bis zum volksgarten gegenüber dem parlament im zentrum. im theseustempel im volksgarten ist eine kleine ausstellung „SpaceMosque“ von aaks afridi, in der es um den besuch ausserirdischer in karatschi, parkistan um die jahrtausendwende geht:
Das erste Schiff über Karatschi wurde als eine futuristische Moschee beschrieben. So wurde SpaceMosque zum Namen des Phänomens.
Durch die Ankunft der Schiffe wurde für jeden Menschen auf dem Planeten alle 24 Stunden ein Gebet erhört. Die Schiffe hatten ein spirituelles Bewusstsein, Energiestationen und Gebetsportale. Ihre göttlichen Algorithmen und ihre Technologie der Voraussicht bestimmten die Auswahl der Gebete, die sie erhörten.
aus dem ausstellungstext „SpaceMosque“ von aaks afridi, im theseustempel, aug. 2023 wien
ich laufe weiter zum bundeskanzleramt und der präsididentschaftskanzlei in der hofburg, wo auch das denkmal für die verfolgten der ns-militärjustiz steht, ein liegendes X das man erst so richtig erkennt, wenn man darauf klettert. und in der umgebung zahlreiche historische gebäude sowie alte und neue skulpturen.
und inmitten der inneren statt findet gerade eine aktion der „Frauen in Schwarz (Wien)“ gegen die gaza blockade statt.
ansonsten gibt es in der inneren stadt aber vor allem die shops internationaler ketten wie fast überall auf der welt, daher nehme ich von der herrengasse die u-bahn und fahre mit umsteigen am westbahnhof zur hochbahnstation josefstädter strasse und laufe über den lebhaften markt auf der brunnengasse zum yppenplatz, wo es auch eine einrichtung sozialer arbeit gibt, die workerei, ein sozialökonomischer betrieb für junge erwachsene.
ich laufe wieder zurück zur u-bahn, wo aus verschiedenen bühnen live-konzerte vorbereitet werden und fahre mit der u-bahn zur station spittelau und weiter nach heiligenstadt zum karl-marx-hof, den ich 2018 schon besuchen wollte, es damals aber nicht geschafft hatte. ein beispiel der wiener wohnungspolitik in den 20er jahren, wo im rahmen des neuen sozialen wohnungsbaus im „roten wien“, wie die stadt damals wegen der sozialdemokratischen stadtregierung genannt wurde, viele kommunale wohnblöcke gebaut wurden.
2018 war ich vorwiegend mit den city-bike fahrrädern unterwegs, mit denen man damals die erste stunde immer umsonst gefahren ist. das system wurde jetzt abgelöst durch wien mobile fahrräder, die von nextbike betrieben werden und von der ersten minute an kosten. ich bin aber wegen der noch immer nicht ganz abgeklungenen erkältung ohnehin nicht darauf aus, die ganze zeit mit dem fahrrad unterwegs zu sein. und mit der u-bahn sind aus etwas ausserhalb gelegene ziele wie der karl-marx-hof gut erreichbar.
an dem gebäude erinnert eine gedenktafel daran, das hier 1938/39 von den nazis 66 familien aus ihren wohnungen vertrieben wurden: „Kündigungsgrund Nichtarier“. und dann folgen die name der danach ermordeten.
nun ist es schon spät geworden, aber mit der U4, die mich von hier aus am donaukanal entlang – in der inneren stadt dann durch einen tunnel der aber durch fenster zum kanal auch immer wieder den blick freigibt – bis zum schwedenplatz bringt, direkt zum badeschiff wo ich am vielleicht letzten richtig warmen abend nochmal in den pool springe. das badeschiff habe ich auch 2018 schon geliebt, ein richtig cooler entspannter ort mit dem pool in einem teil und einer von einem kollektiv betriebenen gastronomie mit liegestühlen auf dem oberdeck im anderen.
ich bleibe noch etwas bei einem „gespritzten weissen“ an dem lauen sommerabend, bis blitze am himmel die herannahenden unwetter ankündigen.
am sonntag ist es immer noch relativ warm aber nicht mehr durchgehend so sonnig, das passt gut zu einem museumstag zu dem ich mir die museen vornehme, die montag geschlossen sein werden. ich starte fast nebenan von hotel schani beim belvedere 21, den dritten ausstellungshaus der belvedere museen ausgrichtete auf zeitgenössische kunst. neben dem skulpturenpark mit der ausstellung „Public Matters“, zwei einzelausstellungen mit werken von constanze ruhm und alois mosbacher beeindruckt mich vor allem die ausstellung „Über das Neue – Wiener Szenen und darüber hinaus – Teil 2“ mit künstlerischen positionen von verschiedenen künstler*innen und projekträumen aus wien und aus anderen teilen österreichs.
vor dem musseum gibt es, wie an vielen orten in wien, wasserspender die wasser gegen die hitze versprühen.
nach dem besuch laufe ich zum hauptbahnhof, weil ich letztlich doch in allen stationen meiner interrail tour ein bild des bahnhofes machen will und von dort aus nehme ich einen e-roller um richtung naschmarkt zu fahren. ich lande an der u-bahn station pilgramgasse, zufällig direkt beim lesben- und schwulenhaus wien. ich laufe von hier aus am wiental kanal entlang weiter zur station kettenbrückengasse und ein stück über den naschmarkt, vorbei am cafe savoy, einem seit 1896 bestehenden prunkvollen kaffeehaus, heute auch ein schwules kaffeehaus.
ich nehme nochmal einen e-roller um zum museumsquartier zu gelangen, was eigentlich so nah ist, dass ich besser hätte laufen können. promt verfahre ich mich noch etwas, werde in einer fussgängergasse noch automatisch ausgebremst und lande am ende vor dem museumsquartier in einer e-roller-parkverbotszone. insgesamt wurden in wien die regeln für e-roller deutlich verschärft um dem „chaos“ einhalt zu bieten. es gibt nur noch wenige anbieter und eine begrenzte zahl an rollern, es gibt parkverbotszonen und ausgewiesene parkpätze und an anderen orten darf man nur auf parkstreifen parken und nirgendwo auf dem gehweg.
schließlich lande ich dann doch da, wo ich eigentlich sowieso hin wollte, nämlich an den rückwärtigen eingang zum museumsquartier von der breiten gasse.
nach einer kurzen runde um den barocken komplex mit den modernen bauten des mumok – museum moderner kunst stiftung ludwig und des leopold museums starte ich dann meinen besuch im mumok mit ausstellungen über mehrere große etagen in tiefgeschossen und nach oben.
die räume erscheinen wie gemacht für großformatige werke wie die von adam pendleton in der ausstellung „Blackness, White, and Light“. spannend ist aber auch die ausstellung „ON STAGE – Kunst als Bühne“ die sich mit perfomativen elementen sowohl in der bildenden kunst als auch in musik, performances und künstlerischen aktionen befasst, auch mit vielen videos neben den ausgestellten bildern und skulpturen.
interessant sind dabei auch die beiträge aus dem wiener aktionismus der 60er jahren, z.b. mit der aktion „Kunst und Revolution“ am 7. juni 1968 im neuen institutsgebäude der universität wien mit vielen tabubrüchen wie nackheit, onanie, notdurft, auspeitschen und selbstverstümmelung, bei der einige der teilnehmenden auch verhaftet wurden.
die ausstellung stellt aber auch die männerdominierten und teilweise von missbrauch geprägte in den fokus, zum einen in hinblick auf die feministischen reaktionen von künstlerinnen wie valie export, marina abramović, gina pane oder kwiekulik. aber auch indem videos aus der kommune und von den aktionen otto mühls mit den berichten der aktivist*innengruppe MATHILDA vom missbrauch in der kommune konfrontriert werden, incl. einem video, in dem otto mühl öffentlich einen kleinen jungen auf der bühne misshandelt. so kommt verändert sich die faszination der radikalität des wiener aktionismus in eine ein eher abstoßendes gefühl, das hier unter dem vorwand der kunst illegitim grenzen überschritten wurden.
nach dem museumsbesuchen fahre ich nochmal zum badeschiff, aber zum baden ist es mir mittlerweile zu kühl geworden und so esse ich nur entspannt und fahre dann wieder ins hotel. wobei die strassenbahnen auf der ringstraße gerade wegen einer demonstration ausfallen, so dass ich einen kleinen umweg laufe und von der station wien mitte zwei stationen mit einer s-bahn fahre, wobei in der s-bahn dann auch eine durchsage kommt, dass alle den zug verlassen sollen weil in es in einer toilette eine brandmeldung gab, nach fünf minuten fährt sie dann aber doch.
am montag ist es wieder eher bedeckt und nur hin und wieder kommt die sonne heraus, so dass ich am letzten tag in wien nochmal zwei museen ansteuere. zuerst fahre ich aber zum frühstücken ins kaffeehaus savoy und geniesse ein schönes kaffeehaus-frühstück mit der akutellen zeitung.
danach laufe ich diesmal vom naschmarkt zur museumsmeile durch das nette viertel nördlich des naschmarktes.
heute besuche ich die ausstellungen im leopold museum. in „AMAZING – The Würth Collection“ sind eine reihe wichtiger werke der klassischen moderne und der zeitgenössischen kunst zu sehen.
spannend ist dann aber auch die ausstellung „Wien 1900 – Aufbruch in die Moderne“ mit diversen werken aus dem fundus des museums aus der zeit, in der wien ein wichtiges zentrum der modernen kunst war und sich durchaus auch gegen die ethablierte kultur richtete, z.b. bei gustav klimt dessen für die universität geschaffenen fakultätsbilder dort aufgrund der eher irrationalen und triebgesteuerten ausdrucksweise auf ablehnung stießen, was er so kommentierte:
Genug der Zensur. Ich greife zur Selbsthilfe. Ich will loskommen. Ich will aus all diesen unerquicklichen, meine Arbeit aufhaltenden Lächerlichkeiten zur Freiheit zurück. Ich lehne diese staatliche Hilfe ab, ich verzichte auf alles. … Die Hauptsache ist, ich will Front machen gegen die Art, wie im österreichischen Staate, wie im Unterrichtsministerium Kunstangelegenheiten behandelt und erledigt werden. Es geht bei jeder Gelegenheit gegen die echte Kunst und gegen echte Künstler los. Protegiert wird immer nur das Schwache, das Falsche.
aus dem ausstellungstext im leopold museum
wie schon 2018 beeindrucken mich dabei vor allem wieder die zahlreichen selbstbildnisse egon schieles, in denen es sich intensiv mit dem bild seines körpers befasst. am ende kaufe ich im museums-shop davon sogar noch ein t-shirt. aber auch die anderen, teils düsteren expressionistischen werke beeindrucken mich immer wieder, wie ein vorahnung eines dunklen jahrhunderts.
nach dem längeren besuch im leopold museum laufe ich vom museumsquartier zum karlsplatz, vorbei am platz der menschenrechte mit dem „Wiener Bankett der Menschenrechte und ihre HüterInnen“ von françoise schein.
am karlsplatz wollte ich eigentlich die ausstellung „Yoshitomo Nara – All My Little Words“ in der albertina modern besuchen. aber im künstlerhaus sehe ich, dass es zwei ausstellungen gibt und das haus nur noch eine knappe stunden geöffnet ist. daher entscheide ich mich spontan um und besuche die ausstellung „HUMAN_NATURE“ des künstlerhauses.
hier stellen mitglieder des hauses verschiedene künstlerische positionen zur beziehung von mensch und natur vorstellen, wie kerstin bennier, die sich mit den katastrophalen waldbränden in australien 2020 auseinandersetzt, david meran in dessen installation immer den aktuellen mit dem hashtag #forestbathing versehenen instagram-post projeziert oder martin kramer, der eine holzskulptur ausstellt, die von innen von insektenlarven zerfressen wird deren frageräusche übertragen werden. für die ausstellung mussten die larven allerdings vernichtet werden, so dass die geräusche hier nur eine aufzeichnung sind.
am montag mache ich mich dann mittags auf den weg zurück nach hause. das wetter wird schlechter, es regnet sogar zeitweise. daher nehme ich schon einen zug um 13 uhr nach nürnberg, statt dem ursprünglich geplanten direkten ICE von wien nach düsseldorf um 15 uhr. mit dem erste-klasse-interrail-ticket kann ich am bahnhof sogar in der ÖBB-Lounge auf die abfahrt warten und nachdem der zug auf der fahrt von wien nach nürnberg gut belegt war, habe ich im anschlusszug von nürnberg nach düsseldorf ein ganzes abteil für acht personen in der ruhezone für mich alleine um den ersten teil dieses berichtes zu schreiben 😉
fertig wird er dann erst zuhause in düsseldorf, nach einer spannenden interrail-tour fast über den gesamten august 2023, die in der eurail-app auch schön als karte dargestellt wird.