venedig 2022 – arsenale, san pietro, san polo, dorsoduro und cannaregio
ich fliege zu meinem zweiten sommerurlaub zur biennale nach venedig. in den ersten tagen besuche ich die zentrale ausstellung im arsenale und zahlreiche nationale beiträge und veranstaltungen in der stadt, laufe durch die straßen und gassen und fahre viel mit den vaporreti.
alle bilder von den den ersten tagen in venedig bei flickr >>
am donnerstag, den 11. august fliege ich – nachdem ich die eindrücke der documenta fifteen in ein paar tagen in der sonne zuhause aufgearbeitet habe – nach venedig. vor allem weil ich mir mit meinem gesundheitszustand noch nicht so richtig sicher bin und auch nicht in bezug auf reisen in der pandemie habe ich jetzt doch nicht mehrere wochen an verschiedenen orten im süden geplant sondern nur 10 tage in venedig, ohne längere ortswechel. und vielleicht ist es ja danach in düsseldorf auch noch so sommerlich heiß wie jetzt 😉
am flughafen klappt alles recht gut, keine ewigen wartezeiten, der flug ist entspannt und im anflug habe ich schon einen schönen blick auf lagune und stadt. vom flughafen geht es dann mit alilaguna nach murano und von dort mit vapporetto weiter ins zentrum. zum einen spart das etwas, weil vom flughafen keine vaporetti verkehren, ich aber ohnehin ein 7-tages-ticket brauche und so mit dem teureren alilaguna nur eine kurze strecke fahre. zum anderen mag ich die boote von alilaguna auch nicht besonders, wo man sich nicht auf dem freien deck aufhalten darf sondern unten in der kabine mit schlechter sicht und ohne frische brise bleiben muss. ich beziehe mein zimmer im hotel seguso mit traumhaften blick auf den rio de san vio und die kuppel der basilika santa maria della salute an der mündung des canale grande in den canale della giudecca.
es wird sich auch noch herausstellen, das der zentrale standort nahe der vaporetto stationen zattere und accademia gut gewählt ist und ich mag es auch, am etwas offeneren canale della giudecca zu wohnen als in einer engen gasse mitten in der altstadt. nur leider gibt es hier eine ausgeprägte mückenplage die mich noch in den ganzen kommenden 10 tagen beschäftigen wird.
aufgrund des frühen fluges habe ich am donnerstag noch genug zeit die nähere umgebung zu erkunden, die promenade am zattere mit vielen restaurants, wo ich auch an den ersten abenden esse, und die durch eine kurze gasse erreichbare station accademia wo es über eine holzbrücke direkt weiter nach san marco geht. in der nähe finde ich auch gleich die erste biennale ausstellung in der stadt: „Times Reimagined“ im palazzo contarini polignac, in der Chun Kwang Young unter anderem skulpturen in der form von viren zeigt.
am freitag ist es dann leicht bewölkt, so dass ich direkt mit dem besuch der hauptausstellung „The Milk of Dreams“ im arsenale starte. anders als bei der documenta, gilt das einfache ticket der biennale für 25,50 euro für einen besuch im arsenale und in den giardini an zwei verschiedenen tagen, also im prinzip für zwei tage, wofür man bei der documenta schon 45 euro hinlegen muss. dazu kommte, dass die ganzen nationalen beiträge und weitere ausstellungen in der stadt in der regel freien eintritt haben.
die ausstellung startet mit einer monumentalen skulptur von Simone Leigh: „Brick House“, die mit ihren werken hier, im zentralen pavillion der giardini und den us pavillion insgesamt etwas dominiert. wobei insgesamt sowohl in der von Cecilia Alemani als erster italienerin kuratierten hauptausstellung der biennale als auch in den nationalen und weiteren beiträgen zum allergrößten teil werke von frauen präsentiert werden. oft geht es dabei um soziale und sexuelle beziehungen wie in zwei eindruckvollen videos: in „Songs from the Compost: mutating bodies, imploding stars“ von Eglė Budvytytė in dem eine gruppe von jugendichen im wald und am meer miteinander und mit der natur interagiert und in „The Severed Tail“ von Marianna Simnett in dem menschen und in einer mischung aus cosplay und bdsm als tiere agierende menschen miteinander agieren.
körper und sexualität sowie das verhältniss zur natur ist ohnehin ein großes thema vieler beiträge, wie in der großen skulptur einer von knöchernen wesen am durch ketten visualisierten strang des urins gezogenen prostata mit diversen erkrankungen „Können und Müssen“ von Raphaela Vogel. oder in bildern von Felipe Baeza in der menschen, fabelwesen und natur ineinanderfliessen und der installation von Emma Talbot: „Where Why Do We Think We Can Outwid Nature?“
in anderen werken hat die natur oder die apokalypse schon alles übernommen, wie in Sandra Mujinga’s „Sentinels of Change & Reworlding Remains“ mit in kalt-grünem licht getauchten endzeitfiguren, comicartigen bilder von Jamian Juliano-Villani wie „An Incredible Deed“, aliens in porzellan in Candice Lin’s „Xternesta“, tintenfischen in Allison Katz‘s „Milk glass & Night Philosophy“ (titelbild dieses blogbeitrages), einer feucht tropfenden verdauenden skulptur von Mire Lee: „Endless House: Holes and Drips“ und dem garten von Precious Okoyomon am ende der ausstellung „To See the Earth Before the End of the World“.
daneben gibt es beiträge wie Geumhyung Jeong’s „Toy Prototype“ in der statt menschen roboter miteinader interagieren oder die installation ohne titel von Barbara Kruger in dem die autovervollständigung einem eingegebenen text neuen sinn vermittelt. und in „Historical Capsules“ kleinen austellungen in der austellung gibt es historische bezüge. so werden in „Seduction of the Cyborg“ tanzfiguren wie „Springvieh“ aus den 20er jahren von Lavinia Schulz und Walter Holdt gezeigt.
weiterhin gibt es auch im arsenale eine reihe von nationalen pavillions mit teilweise eher düsteren visonen, wie einem riesigen dunklen baum, „The Teaching Tree“ von Muhannad Shono im pavillion Saudi Arabias, drachen die zwischen eingegrabenen menschen herumspazieren in Naomi Rincón Gallardo’s „Sonnet of Vermin“ im pavillon Mexicos, der darstellung struktureller gewalt von Herbert Rodríguez in „Structural Violence Perú“ und „Dick 1“ im pavillion Perus, den zwei seiten des „Janus Gate“ von Ayman Baalbaki im pavillion Lebanons, surrealistischen wesen Marko Jakše’s in „Blind over Deaf“ und „All the Machines Are Standing Still“ im pavillion Slovenia und am ende in der trostlosen rekonstruktion des „wunders“ der industrialisierung in „History of Night and Destiny of Comets“ von Gian Maria Tosatti im pavillion Italiens.
weitere länder päsentieren sich eher klassisch, wie Ghana mit der ausstellung „Black Star – The Museum as Freedom“ von Afroscope, Na Chainkua Reindorf, Diego Araúja, DK Osseo Asare. China thematisiert mit „META-SCAPE” das verhältnis von mensch, natur und technik z.b. in Wang Yuyang‘s „Quarterly“. Uzbekistan zeigt eine installation von Dixit Algorizmi „The Garden of Knowledge“. besonders bunt präsentiert sich der Kosovo mit der installation „The Monumentality of the Everyday“ von Jakup Ferri und direkt daneben der einsame beitrag Pavlo Makov‘s „Fountain of Exhaustion. Acqua Аlta“ aus der ukraine, der von seiner kuratorin kurz nach kriegsbeginn mit einer riskanten flucht aus dem land nach venedig gebracht wurde.
insgesamt ist ein ganzer tag auf jeden fall nicht zu knapp angesetzt für einen besuch der ausstellung im arsenale, wenn man viel sehen möchte. vielmehr unternehme ich am freitag abend dann auch nicht mehr, fahre aber am samstag mit dem vaporetto wieder in die nähe des arsenale und starte meine tagestour auf der insel san pietro de castello, auf der es auch ein paar kleine ausstellungsorte der biennale gibt.
an einigen häusern hängen transparente „Salviamo San Pietro e Sant’Anna“ die auf den protest gegen die verteibung von familien für den bau von gästehäusern aufmerksam machen sollen. drei kleine ausstellungen besuche ich auf der insel, unter anderem: Alberta Whittle befasst sich in „deep dive (pause) uncoiling memory“ mit rassismus, kolonialisierung und migration in skulpturen, wandteppichen und einem video. Lara Fluxà schafft in ihrer Installation „Catalonia in Venice_Llim“ einen organismus in dem schlamm sich durch schläuche bewegt und verbindungen zur glasherstellung zieht.
danach gehe ich zurück in die umgebung des arsenale in castello zum pavillion Nepals, in dem Ang Tsherin Sherpa (also known as) Tsherin Sherpa „Tales of Muted Spirits-Dispersed Threads-Twisted Shangri-La“ präsentiert, in dem im kooperation mit künstler*innen des himalayas entstand. der Kroatische pavillion ist hingegen nur ein schaufenster in dem auf perfomances hingewiesen wird, die zu verschiedenen zeiten an anderen ausstellungsorten der biennale stattfinden. und eine ausstellung von Tue Greenfort „Medusa Alga Laguna“ befasst sich mit dem ökosystem der lagune.
ich besuche dann noch ein paar kleine beiträge im garten des arsenale, der diemal ausserhalb des zu bezahlenden besuches frei zugänglich ist und fahre dann mit einer kleinen fähre auf die nordseite des arsenales. hier gibt es noch einen beitrag der biennale 2019, die große skulptur „Brücken bauen“ von Lorenzo Quinn über einem dock, die auch aus der ferne gut zu sehen ist, wenn man mit dem vaporetto um die stadt fährt.
das gelände im norden des arsenale wurde vom militär der stadt übergeben und bietet jetzt raum für kulturelle aktivitäten. ich laufe zur vaporetto station bacini – arsenale nord und fahre ein stück zurück in die stadt zum ospedale, dem großen krankenhaus auf der nordseite der stadt und laufe richtung fondamente nove.
auch in der umgebung des fondamente nove gibt es ausstellungsorte, die aber nicht mehr alle geöffnet sind, wie den pavillion von san marino unter anderem mit „Un Giardino Imperfetto“ von Michelangelo Galliani, „The Endless Transfiguration“ von Endless, „Body Memories – Matter Memories“ von Anne-Cécile Surga und „Posology Humanity’s Time, Europosaurus“ von Rosa Mundi.
am abend esse ich dann noch in der netten bar puppa in der salizada del spezier, fahre dann mit einem vaporetto über den canale grande zurück zur station accademia und laufe dann noch etwas am canale della giudecca.
am sonntag fahre ich dann rund um die stadt zur station sant’alvise und setze die tour durch cannaregio fort. ich laufe am rio della sensa, einer der drei langen kanäle die sich von west nach ost durch cannaregio entlang ziehen bis zur kirche abbazia della misericordia, in die die niedelande ihren pavillon ausgelagert haben und in einer gemütlichen kuschellandschaft den film „When the body says Yes“ von melanie bonajo zeigen in dem einvernehmliche berühungen hilfe in unserer epidemie der einsamkeit schaffen.
dann laufe ich weiter, der bolivianische pavillion ist leider bis dienstag geschlossen aber der pavillion Kenias ist offen mit einer installation von Dickens Otieno, Syowia Kyambi, Kaloki Nyamai, Wanja Kimani: „Exercises in Conversation“. von da aus laufe ich weiter in die stadt richtung kanale grande und besuche im palazzo mora die ausstellung „From Palestine With Art“. im palazzo mora residiert das „European Cultural Center“ bei dem ich endlich auch eine gute karte alle events der biennale in der stadt bekomme, wozu die biennale selbst wohl nicht in der lage war. auch die angaben in der PDF broschüre auf der offiziellen webseite und die karten die an einigen stellen in der stadt aushängen sind eher ungenau und nicht immer korrekt. das macht es nicht einfach, die vielen orte zu finden in einer verwinkelten stadt in der die meisten adressen nur aus dem stadtteil und der hausnummer bestehen und die nummerierung der häuser auch kaum einem klaren system folgt. in der ausstellung „From Palestine With Art“ ist auf dem boden eine historische karte palestinas von Salman Abu Sitta ausgelegt, unter den bildern „Steps“ von Susan Bushnaq, „How I See Her“ und „Jidar“ von Ghassan Abu Laban, „Palestinian Portraits“ von Jacqueline Bejani sowie „Venetian Red“ von Samia Halaby.
ich laufe noch etwas weiter durch cannaregio zu einer aussenstelle des rumänischen pavillion am campo santa foscan in dem ich mit einer 3-D brille nackten paaren sehr nahe komme, was ich später in pavillion im giardini noch besser werde nachvollziehen können. von hier auch geht es dann mit einem vaporetto über den canale grande nach san polo wo ich noch ein paar ausstellungsorte suche und finde. einer von zwei orten des pavillons Cameroons ist im palazzo ca’ bernardo am campo san polo unter anderem mit der installation „UNDIGITAL campo 6708_B/N“ von Shay Frisch. einige ort hier schliessen aber auch schon wieder, andere sind nicht so spannend oder erlauben den eintritt nur wenn man ein ticket für ein ganzes museum löst, das man gar nicht besuchen möchte. die touren durch die stadt dauern doch immer länger als zunächst geplant. am ende fahre ich nochmal eine station von san tomà zur rialto brücke und besuche kurz vor der schließung noch den pavillion bulgariens mit der ausstellung „There You Are“ von Michail Michailov.
ich laufe dann in san marco noch am pavillion Bangladesh im palazzo pisani-revedin am campo manin vorbei der aber auch schon geschlossen zu sein scheint. dann fahre ich wieder mit einem vaporetto zur station ca‘ rezzonico und laufe zum campo santa margherita in dosuduro zum abendessen. bei den letzten besuchen in venedig hatte ich abende öfter hier verbracht aber jetzt ist die atmosphere irgendwie nicht mehr so reizvoll wie in meiner erinnerung.