venedig 2022 – giardini, giudecca, dorsoduro, santa croce und san marco
am montag besuche ich die pavilions der biennale arte 2022 in den Giardini, dienstag fahre ich dann fort mit der tour durch die ausstellungsorte in der stadt in dorsoduro und san marco, nehme an einer führung des deutschen pavillions zu orten des wiederstandes in santa corce und im westen der stadt teil und schließlich besuche ich dienstag abend und mittwoch vormittag noch einige orte in dorsoduro und giudecca.
alle bilder aus den giardini und weiteren touren in venedig bei flickr >>
ausnahmesweise haben die pavillions im giardini am 15. august auch montags geöffnet und so starte ich zum zweiten teil des besuches der hauptausstellung zunächst im zentrale pavillion der wieder mit einer großskulptur von Simone Leigh: „Elefant / Elephant“ eröffnet wird. und dann gibt es hier weitere „Historical Capsules“ wie die ausstellung „The Witch’s Cradle“ in der viele surrealistisch anmutende bilder wie Jane Graverol’s „L’École de la Vanitè“ zu sehen sind, leider hinter glas und mit einer beleuchtung, die es kaum möglich machen die bilder ohne nervige spiegelungen zu betrachten. auch in weiteren räumen spielt die phantasievolle variation von körpern eine wichtige rolle wie in den skulpturen „Terminal Figure“ und „Predators ‚R Us“ von Andra Ursuţa oder dem bild „Le Comegente (The People Eater)“ von Cecilia Vicuña.
ein kleines horrorkabinett öffent sich in einem eigenen raum für Paula Rego unter anderem mit „Oratório“ und „Metamorphosing after Kafka“. in Jana Euler’s großformatigen bild „Fly (moment)“ steht hingegen das insekt im mittelpunkt, so wie 111 nicht klar definierbare tiere in ihrer sammlung „great with fear“. ins weltall führt der video von P. Staff „On Venus“ und wieder etwas surrealer sind die bilder von Christina Quarles wie „Don’T Let It Bring Yew Down (It’s Only Castles Burnin‘)“ und auch am ende des rundgangs bei Charline von Heyl unter anderem mit dem großformatigem bild „Primavera“.
aussen und auf dem dach des zentralen pavillion sind skulpturen von Cosima von Bonin angebracht, auf dem dach stehen plastik haifische mit surfboarfs und elektischer gitarre „WHAT IF THEY BARK 01-07“ (siehe auch bild am anfang des blog-beitrags), in einer säule steckt eine axt „AXE“.
nebenan im pavillon Estonias beschäftigen sich Kristina Norman und Bita Razavi in „Orchidelirium: An Appetite for Abundance“ in der auseinandersetzung mit der künstlerin und weltreisenden Emilie Rosalie Saal aus dem 19. jahrhundert mit selbstbestimmung, kolonialen erfahrungen und neokolonialen strukturen, z.B. in der Skulptur „Kratt: Diabolo. No 3“ von Bita Razavi. der pavillon der Schweiz ist mit der ausstellung „The Concert“ von Latifa Echakhch geprägt von skulpturen aus trockenem holz erst im hellen und drinnen dann im dunklem, wieder in einer apokalptischen atmospähre, ebenso wie die kentauren in Uffe Isolotto‘s „We Walked the Earth“ im dänischen pavillion der sich in einen aus der zeit gefallen mystischen bauernhof verwandelt hat. der russische pavillion in der direkten nachbarschaft hingegen ist verwaist, wenngleich von security bewacht nachdem ein russischer künstler, der hier gegen den krieg protestierte, festgenommen wurde weil die pavillions wie botschaften als „exterritoriales gebiet“ gelten.
der von finnland, norwegen und schweden gemeinsam betriebene nordische pavillion wird auf dieser biennale zu „The Sámi Pavilion“ in dem Pauliina Feodoroff, Máret Ánne Sara und Anders Sunna ihre samische heimat repräsentieren womit die samische indigene souveränität gestärkt werden soll. in Anders Sunna’s mehrteiligen wandbild „Illegal Spirits of Sápmi“ wird die geschichte der unterwerfung der sámi dargestellt – einige bilder erinnern mich an die kunst des widerstands von taring padi auf der documenta fifteen – und QR-Codes auf den büchern verknüpfen sie mit bildern und sounds aus dem archiv der Sunna familie. im süd-koreanischen pavillon schräg gegenüber beherrscht Yunchul Kim’s „Gyre“ den raum, ein high-tech wesen aus displays.
am südlichen ende der giardini stehen bilden der deutsche, der französische und der grossbritannische pavillion einen kleinen platz mit ihren recht unterschiedlichen architekturen. die faschistische architektur ist dann auch wieder einmal das thema der auseinandersetzung von Maria Eichorn mit dem pavillon „Germania“ dessen ursprünge im bayrischen pavillion sie restauratorisch offenlegt. eigenlich wollte sie den ganzen pavillion „tranzlozieren“, also versetzen so das in den giardini nur der leere raum bleibt, was im ausliegenden katalog detailliert beschrieben wird. ganz andere eindrücke bietet großbritannien mit der ausstellung der schwarzen künstlerin Sonia Boyce „Feeling Her Way“ die 2022 den goldenen löwen für den besten nationalen pavillon erhielt und nochmal anders ist das erlebnis in den filmkulissen des französischen pavillions in Zineb Sedira’s ausstellung „Les rêves n’ont pas de titre / Dreams have no titles“.
neben diesen drei pavillions prägen im pavillion Canada’s großformative bilder von riots im arabischen frühling in tunis sowie in new york, london und vancouver von Stan Douglas in seiner ausstellung „2011 ≠ 1848“ den raum. etwas weiter im australischen pavillion präsentiert Marco Fusinato mit „DESASTRES“ irritierende bilder auf einer riesigen LED-wand begleiten von lauten verzerrten e-gitarren sounds. und daneben im israelischen pavillion herrst „Queendom“ von Ilit Azoulay mit surrealen detaillreichen bildern.
im pavillion der usa der usa dominiert wiederum Simone Leigh in der ausstellung „Sovereignty“ u.a. mit der skulptur „Last Garment“. nebenan im finnischen pavillion thematisiert Pilvi Takala mit „Close Watch“ überwachung und „sicherheit“ in videos eines workshops mit „security guards“ und gleichzeitig in der installation in der von einem raum durch eine scheibe der andere beobachtet werden kann, während die scheibe von aussen verspiegelt ist. in der mitte der pavillions habe die kurator*innen des ukrainischen pavillions noch die piazza ucraina gestaltet in der ein wie aktuell in der ukraine mit sandsäcken gesichertes denkmal nachgebildet und diverse beiträge u.a. von zeitgenössischen ukrainischen künstler*innen auf holzstelen gezeigt werden.
über den rio del giardini laufe ich zum etwas abgetrennten parco delle rimembrance mit den weiteren pavillions in den giardini, direkt am anfang der pavillion Bazilia’s dem man durch ein überlebensgroßes ohr betritt. Jonathas de Andrade präsentiert hier die ausstellung „com o coração saindo pela boca / with the heart coming out of the mouth”. danach wechsele ich gleich zum griechischen pavillion am südlichen ende, wo ich auf jeden fall die 3D präsentation „Oedipus In Search of Colonus“ von Loukia Alavanou sehen will, für die man allerdings eine zeitlang anstehen muss (wenn man nicht vorher ein zeitfenster online gebucht hat). auf drehbaren stühlen mit einer 3D brille begleitet man ödipus, der in der modernen welt in der sozialen realität von roma in nea zoi westlich von athen landet. im „padiglione venezia“ wird unter anderem von Paolo Fantin mit der gruppe Oφcina in „Lympha“ der mythos von daphne und apollo dargestellt. im pavillion Eygpt’s beschäftigen sich Mohamed Shoukry, Weaam El Masry und Ahmed El Shaer mit künstlicher intelligenz mit projektionen auf überdimensionale euter im „EDEN LIKE GARDEN preserved for the chosen ones“.
am nördlichen ende des parks im österreichischem pavillion präsentieren Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl dann in „Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts“ einen gemischtwarenladen allerlei nettem tand’s. zum abschluss verbringe ich schließlich die letzte knappe stunde in den giardini im beeindruckenden pavillon Romania’s am anderen ende des parks in der videoinstallation „You Are Another Me – A Cathedral of the Body“ von Adina Pintilie. davon hatte ich am sonntag ja schon einen ersten 3D eindruck im ausgelagerten ausstellungsort in cannaregio bekommen. in zwei räumen werden in diversen projektionen sehr persönliche und sexuelle begegnungen unter anderen von zwei schwulen und von seit seiner kindheit schwerst behinderten christian bayerlein gezeigt. ein sehr intensives und beeindruckendes erlebniss.
nach dem langen tag in den giardini unternehme ich am abend nicht mehr viel und esse abends am kai zum canale auf der insel giudecca. die atmosphere ist hier etwas entspannter und ruhiger als in den restaurants rund um die zattere und der blick auf die stadt „von aussen“ mit den vorbeifahrenden fähren vaporetti sehr nett. und die station giudecca palanca ist ja auch nur eine kurze station weiter von zattere.
am dienstag besuche ich dann noch ein paar ausstellungsorte in der direkten umgebung und in san marco, das ich bisher aufgrund der tourist*innenmassen im zentrum eher gemieden habe. ich starte direkt an der fondamenta zattere al spirito santo im pavillion Côte d’Ivoire mit Aron Demetz austellung „The Dreams of a story“ mit filigranen dunklen skulpturen und bunten kuscheltier-collagen. und direkt daneben eine aussenstelle des kanadischen pavillions mit „ISDN“, videos zu Stan Douglas ausstellung „2011 ≠ 1848“.
danach laufe ich zum canale grande und setze mit einem vaporetto über nach san marco. am vormittag ist es hier noch nicht ganz so überlaufen und ich fange ein paar klassische postkartenbilder ein 😉 im Istituto Veneto di Scienze Lettere ed Arti am campo santo stefano besuche ich dann die austellung Eugen Raportoru „The Abduction from the Seraglio Roma Women: Performative Strategies of Resistance“ die den häuslichen raum der roma thematisiert.
im conservatorio di musica besuche ich dann die ausstellung „Not All Who Wander Are Lost, Uncombed, Unforeseen, Unconstrained“ von Julian Charrière mit skulpturen im hof und einer lichtorgel auf dem man spielen kann. ein stück weiter an der station accadmia residiert der pavillion Portugal’s im palazzo franchetti mit Pedro Neves Marques „Vampires in Space“, der geschichte einer reise im weltraum in videos und bildern. in einer kleinen gasse finde ich den pavillion von Montenegro mit der ausstellung „Guilty Knowledge, The Art Of Holding Hands / As We Break Through The Sedimentary Cloud“ von Jelena Tomašević, in der seltsame apperaturen aufgebaut sind.
ich laufe weiter durch san marco, von pavillion Uganda‘s sehe ich nur ein poster und im pavillion Bangladesh’s stehe ich wieder vor verschlossenen türen. es ist aber auch schon wieder spät am mittag geworden und um 16 uhr habe ich eine tour zu orten des wiederstands gebucht, die am bahnhof stanta lucia beginnt. um es dahin noch rechtzeitg zu schaffen laufe ich zum markusplatz, schaue da noch nach dem pavillion azerbaijan’s den ich aber auf die schnelle auch nicht finde und nehme dann ein vaporetto über den canale della giudecca zum bahnhof.
am bahnhof beginnt die tour des venezianischen historikers giulio bobbo mit einer kleinen gruppe. der bahnhof war auch ein ort des widerstands. venedig war als ort, der nur mit zügen oder die straße zum festland verlassen werden konnte ein schwieriger ort auch für italienische soldaten die von den deutschen hierher gebracht wurden. am bahnhof wurden flüchtende in frachtwagons versteckt und auf dem festland vor dem bahnhof mestre wurden die züge angehalten damit sie fliehen konnten. vom bahnhof laufen wir dann weiter zu einer ehemaligen tabakfabrik. hier erzählt giulio bobbo von frauen die streikten weil sie den in staatlichen betrieben arbeitenden zustehende extra geld- oder lebensmittel-zuwendungen nicht bekamen. der fabrikdirektor holt die faschistische polizei, die sonst den widerstand verfolgte und folterte. aber 1945 war schon allen klar, dass auch venedig bald befreit werden würde und die faschistische polizei untersuchte den fall und kam zum ergebnis, das die frauen recht haben …
danach geht es weiter zum gefängnis gefängnis casa circondariale santa maria maggiore in dem verfolgte eingesperrt und auch hingerichtet wurden und das auch eine zwischenstation der deportation der jüd*innen aus venedig war. am ende des krieges befreiten gefangene gemeinsam mit verbündeten wärtern das gefängnis selbst noch vor dem eintreffen der alliierten. am gefängnis kommt die gruppe in die diskussion zur politischen situation in italien heute, giulio bobbo sagt, es könnte sein dass es nur noch sechs wochen demokratie in italien gibt und das land dann zu einem „orban state“ wird. er ist ebenso wie eine italienische teilnehmerin sehr besorgt. die tour führt dann weitet und endes am hafen terminal san basilo. hier kamen italienische soldaten an, die von den deutschen im balkan gefangen genommen worden waren und zur zwangsarbeit in konzentrationslager nach deutschland gebracht werden sollten. im balkan gab es nicht genug transportmöglichkeiten und so wurden sie nach venedig verschifft um von hier mit dem zug nach deutschland gebracht zu werden. teilweise müssen sie auf den ankommenden schiffen ausharren ohne richtig zu wissen wo sie sind und der venezianische widerstand versorgt sie auf dem schiffen mit verpflegung oder verhalfen ihnen aus dem terminal mit gefälschten papieren zur flucht.
nach der tour besuche ich noch den nahe gelegenen pavillion Kazakhstan’s mit einer interessanten installation des ORTA collective (Alexandra Morozova, Rusten Begenov, Darya Jumelya, Alexander Bakanov, Sabina Kuangaliyeva): „LAI–PI–CHU–PLEE–LAPA, Centre for the New Genius“ (video von ORTA und titelbild dieses blog-beitrages) mit vielen technischen geräten die aber wohl nur noch zum teil so funktionieren wie sie sollen und einer erzählung über den „neuen genius“. leider schließt der pavillion schon bald aber ich setze meinen besuch am folgenden tag nochmal in ruhe fort. ich fahre dann noch nach giudecca aber die pavillions dort sind auch schon geschlossen. später esse ich nochmal auf giudecca an dem letzten abend, an dem ich in der stadt übernachte.
am mittwoch verbringe ich noch den halben tag in der stadt, zunächst nochmal auf giudecca. im pavillion Georgia’s kann mit 3D-brillen die installation „I Pity the Garden“ von Mariam Natroshvili und Detu Jincharadze erlebt werden, in der man sich wie in einem computerspiel durch eine futuristische welt bewegt. daneben zeigt im pavillon Guatemala’s Christian Escobar die ausstellung „“Chrispapita”: INCLUSION“. danach laufe ich über sacca fisola, eine etwas moderner bebaute insel giudecca‘s zur vaporetto station, von wo ich wieder auf die andere seite nach dorsoduro übersetze.
in dorsuduro laufe ich nochmal durch kleinen kanäle und die engen gassen zur ausstellung „Angels Listening“ von Rachel Lee Hovnanian in der man auch nachrichten auf kleinen zetteln hinterlassen kann.
danach geht es weiter zum zweiten standort des pavillion Cameroon’s mit der ausstellung „The Time of the Chimeras“ in san polo unter anderem mit „A-FIL-LIATION“ von Angèle Etoundi Essamba, „Amanita in the City“ von Francis Nathan Abiamba (AFRAN) und „TRANSFIGURATION“ von Justine Gaga. etwas weiter in santa croce geht es dann noch zum pavillion Macedonia’s zur ausstellung „Landscape experience“ von Robert Jankuloski und Monika Moteska.
am ende dann, zurück in dorsoduro besuche ich mit die ausstellung des koreanischen küstlers Ha Chong-Hyun mit dem bild „Work 73“ und laufe dann zurück zu meinem hotel an den zattere um meinen koffer zu holen und mit dem vaporetto zum lido zu fahren, wo ich die verbleibenden tage in venedig übernachten werde.
neben den beiden dichten tagen mit dem besuch im arsenale und in den giardini hat es mir sehr viel spaß gemacht, durch die kanäle und gassen der stadt zu streifen auf der suche nach ausstellungsorten und nationalen beiträgen in der stadt, zwischendurch immer wieder unterbrochen von luftigen fahrten mit den vaporetti. die biennale selbst unterstützt solche erkundungen nicht besonders, die webseite funktioniert richtig schlecht als nachschlagwerk, die karten sind ungenau und manchmal falsch, fast als gäbe es gar kein interesse es einfach zu machen, die vielen orte gezielt zu finden. aber vielleicht gehört diese suche ja auch dazu, auf jeden fall lernt man so auch viele orte der wunderschönen wasser-stadt kennen, an denen man nur wenige menschen antrifft. wobei ich ein paar orte rund um den markusplatz auch bis jetzt ausgespart habe und vielleicht in den nächsten tagen nochmal vom lido aus besuchen werde.
auf jeden fall sind die themen des „globalen südens“ neben der documenta fifteen auch auf der biennale arte 2022 sehr präsent, aber auch andere themen des 21. jahrhunderts im bereich der ökologie, sexualität & gender, krieg, …
aber jetzt geht es nach sechs tagen in der stadt erstmal an den strand …